Schwarze Löcher in Teilchenbeschleunigern?

Über die Möglichkeit, mit der nächsten Generation von Teilchenbeschleunigern winzige Schwarze Löcher erzeugen und nachzuweisen zu können

Ein Artikel von Marco Cavaglià

Eine Besonderheit der Stringtheorie, eines der Kandidaten für eine Theorie der Quantengravitation, besteht darin, dass sie die Existenz zusätzlicher Raumdimensionen postuliert. Typischerweise liefern ihre Modelle – oder Modelle, die Konzepte der Stringtheorie aufgreifen – allerdings auch eine Erklärung dafür, warum wir diese Extradimensionen im Alltag nicht wahrnehmen; sei es, dass sie „aufgerollt“ sind (vgl. das Vertiefungsthema Extradimensionen – und wie man sie versteckt) oder dass unsere Welt nur ein kleiner Teil eines höherdimensionalen Universums ist (siehe das Vertiefungsthema Die eingebettete Welt).

Lässt sich die Existenz solcher Extradimensionen nachweisen? Abhängig davon, wie gut sie versteckt sind, kann die Antwort durchaus positiv ausfallen. Extradimensionen können nämlich die Art und Weise beeinflussen, wie die Stärke der Gravitationskraft zunimmt, wenn man sich einer Masse immer weiter nähert. Üblicherweise nimmt die Gravitationskraft mit dem Quadrat des Abstandes zu (oder ab): Wenn wir unseren Abstand zu einem massiven Körper halbieren, dann zieht uns die Gravitationskraft nunmehr viermal so stark an wie an unserem Ausgangsort. Sind dagegen Extradimensionen im Spiel, dann kann die Kraftstärke ungleich schneller anwachsen – zumindest bei sehr kleinen Abständen! (Weitere Informationen über Extradimensionen und die Abstandsabhängigkeit von Kräften bietet das Vertiefungsthema Extradimensionen auf der Spur.)

Freilich sind die Abstände, bei denen sich die unüblich starke Gravitation bemerkbar macht, in den meisten realistischen Modellen für Extradimensionen sehr klein – weit kleiner als die Ausdehnung eines Atoms und sogar eines Atomkerns! Die richtigen Beobachtungswerkzeuge, um die Physik bei solch winzigen Abständen zu erkunden, sind die mächtigsten „Mikroskope“, die uns die Experimentalphysiker bieten können: Teilchenbeschleuniger!

Teilchenbeschleuniger, Längenskalen und Gravitation

In Teilchenbeschleunigern werden Elementarteilchen oder andere winzige Partikel beschleunigt und zum Zusammenstoß gebracht; bei den so in Gang gesetzten Teilchen entstehen im allgemeinen andersartige Teilchen; die wiederum werden von den Physikern mit hochkomplexen Detektoren nachgewiesen. Die Energie der kollidierenden Teilchen ist ein direktes Maß für die Abstandsskalen, die bei den Teilchenreaktionen eine Rolle spielen – je höher die Energie, desto geringer die Abstände. Sind so kurze Abstände erreicht, dass die Extradimensionen ins Spiel kommen und die Stärke der Gravitation stark anwachsen lassen, dann sollten sich indirekt auch anhand der bei der Kollision entstehenden Teilchen Gravitationseffekte nachweisen lassen.

Für einige der Modelle mit Extradimensionen kann die kritische Grenze, ab der Gravitationseffekte nachweisbar werden, bereits von den Teilchenbeschleunigern wie dem Large Hadron Collider (LHC) am europäischen Teilchenphysikzentrum CERN in der Nähe von Genf erreicht werden. Das folgende Bild zeigt einen Blick in den Tunnel hinein, in welchem der LHC verläuft. Die blauen Röhren sind die Abdeckungen für die Magnete, welche die umlaufenden Teilchen auf der richtigen Bahn halten:

Blick in den LHC-Tunnel

[Bild: CERN]

Das wohl beeindruckendste Ereignis, das sich an einem Teilchenbeschleuniger möglichweise beobachten lässt, ist die Entstehung winziger Schwarzer Löcher.

Schwarze Löcher in Teilchenbeschleunigern?

Gemäß der Allgemeinen Relativitätstheorie sollte sich immer dann ein Schwarzes Loch bilden, wenn eine gegebene Menge an Masse in eine hinreichend kleine Raumregion gepresst wird. Die genaue Bedeutung von „hinreichend klein“ richtet sich dabei nach einer für die Situation charakteristischen Länge, die Schwarzschildradius heißt. Dieser Radius hängt von der Masse ab, um die es geht, aber auch von den Eigenschaften etwaiger Extradimensionen. Für bestimmte Arten von Extradimensionen wird der Schwarzschildradius bei gegebener Masse deutlich größer als ohne diese zusätzlichen Dimensionen. Dementsprechend muss man Masse nicht ganz so stark zusammenpressen, um ein Schwarzes Loch zu erhalten. Unter solch günstigen Bedingungen könnten Kollisionen zwischen Protonen, wie sie beim LHC zu erwarten sind, die richtigen Bedingungen für die Bildung von Schwarzen Löchern bieten.

Genauer gesagt bestehen Protonen aus noch kleineren Teilchen, so genannten Quarks. Wenn zwei Quarks bei der Protonenkollision nicht nur aneinander vorbeifliegen, sondern ihrerseits fast frontal aufeinander stoßen, dann könnte sich bei dem mit dem LHC erreichbaren Energien eine hinreichend hohe Massenkonzentration bilden, und das Ergebnis wäre ein Schwarzes Mini-Loch.

In der folgenden Animation ist die Kollisionsregion – ein kleiner Ausschnitt des dreidimensionalen Raumes – durch eine Ebene dargestellt, die in einen höherdimensionalen (im Bild: dreidimensionalen) Raum eingebettet ist. Herkömmliche Elementarteilchen können nur in der Weltebene existieren – sie können sich nicht herauslösen und in die Extradimensionen wandern. Wenn die beiden kollidierenden Teilchen sich fast erreicht haben, bildet sich ein Schwarzes Loch, dessen Horizont hier als schwarze Kugelfläche dargestellt ist:

Aus kollidierenden Partikeln bildet sich ein Schwarzes Loch

Schwarze Löcher mit einer so geringen Masse sind extrem instabil. Die Intensität der Hawking-Strahlung, eines hypothetischen Quantenprozesses durch den das Schwarze Loch Elementarteilchen aussendet, ist umso größer, je geringer die Masse des Schwarzen Loches ist. Schwarze Mini-Löcher, wie sie in Teilchenbeschleunigern erzeugt werden könnten, würden durch diesen Abstrahlungsmechanismus fast im gleichen Moment, in dem sie entstehen, wieder verdampfen – typischerweise wären solche Schwarzen Löcher nach nicht mehr als einigen Zehntel billionstel billionstel (10-25, in Zehn-Hoch-Schreibweise) Sekunden wieder verschwunden. Der Zerfall würde sich durch die plötzliche Aussendung einiger hochenergetischer Teilchen bemerkbar machen; möglicherweise bleibt auch ein exotischer Überrest des Schwarzen Loches zurück (worum es sich dabei handeln könnte und ob solche Überreste tatsächlich existieren, ist eine derzeit noch offene Frage):

Schwarzes Mini-Loch, das zerfällt und dabei Teilchen und Gravitationsenergie aussendet

Was die Anzahl, Arten und Energien der dabei entstehenden Teilchen angeht, würde sich ein zerfallendes Schwarzes Loch deutlich von den Resultaten anderer Teilchenreaktionen unterscheiden. Einige Unterschiede hängen dabei direkt mit dem Vorhandensein der Extradimensionen zusammen: In obiger Animation beispielsweise ist zu sehen, wie ein Teil der mit Gravitation zusammenhängenden Energie (dargestellt durch die gelben wellenartigen Pfeile) in die zusätzlichen Dimensionen entkommt – Energie, die schlichtweg aus unserem dreidimensionalen Universum verschwindet!

Um in Teilchenbeschleunigern herbeigeführte Zusammenstöße zu untersuchen, verwenden Physiker empfindliche Detektoren, mit denen sich Teilchenspuren und -energien registrieren lassen. So gelingen detaillreiche Rekonstruktionen der Kollisionen; das nachfolgende Bild, Ergebnis einer Simulation, zeigt, wie sich der Zerfall eines Schwarzen Mini-Lochs im Detektor darstellen könnte:

Simulation von Teilchenspuren nach dem Zerfall eines Schwarzen Mini-Loches

Das Bild zeigt einen Querschnitt des Teilchendetektors CMS, eines der Experimente am LHC. Die Teilchen fliegen zunächst senkrecht zur Bildebene aufeinander zu, kollidieren in der Bildmitte und es bildet sich ein Schwarzes Loch. Die eingezeichneten Kurven entsprechen den Spuren von Teilchen, die beim Zerfall des Schwarzen Loches entstehen. Die violette Kurve steht für ein Elektron, während die roten Kurven die Spuren so genannte Myonen sind, die den Elektronen ähneln, aber mehr Masse besitzen. Blaue und türkise Linien stehen für verschiedene Sorten von Teilchen, die aus Quarks bestehen und damit entfernte Verwandte der Protonen und Neutronen sind: blau für so genannte Kaonen, türkis für so genannte Pionen.

Ein Bestandteil des Detektors ist ein sehr starker Magnet, der im Detektorinneren ein beachtliches Magnetfeld erzeugt. Darin werden alle elektrisch geladenen Teilchen, die durch den Detektor fliegen, abgelenkt – in obiger Abbildung erscheinen ihre Bahnen daher gebogen. Wie stark die Bahn verbogen ist, liefert einen wichtigen Anhaltspunkt zur Bestimmung von Impuls und Masse der beobachteten Teilchen.

Durch die Untersuchung der beim Zerfall entstehenden Teilchen wären die Physiker am LHC in der Lage, die Entstehung von Schwarzen Mini-Löchern nachzuweisen. Gelänge dies, dann ließe sich auch die Existenz von Extradimensionen belegen, und man könnte sogar Aussagen über einige ihrer Eigenschaften treffen!

Wie häufig sind solche Mini-Löcher? Die Antwort hängt sehr von den genauen Eigenschaften desjenigen Modells der Extradimensionen ab, das bei den Rechnungen verwendet wird. In einigen Modellen sollte am LHC sogar ein Schwarzes Mini-Loch pro Sekunde erzeugt werden!

Sind die Bedingungen dergestalt, dass im LHC Schwarze Löcher entstehen werden, dann ist zu erwarten, dass auch andere von der Stringtheorie vorhergesagte Objekte erzeugt werden, bei denen die Gravitation eine wichtige Rolle spielt. Ein Beispiel sind so genannte Branen, das sind höherdimensionale ausgedehnte Lösungen der Gravitationsfeldgleichungen und damit Verwandte unserer dreidimensionalen Welt, die in diesem Bild ja ebenfalls eine ausgedehnte Unterregion im höherdimensionalen Raum ist.

Künstliche Schwarze Löcher – Grund zur Sorge?

Müssen wir uns Sorgen machen, dass die Schwarzen Mini-Löcher wachsen und letztendlich so groß werden, dass sie die ganze Erde verschlingen? Die Antwort ist Nein, denn selbst wenn man den Rechnungen, die solchen Schwarzen Löchern ein schnelles Ende vorhersagen, kein Vertrauen schenken mag – zu dieser Frage wenigstens gibt es solide Messdaten.

Wenn Schwarze Löcher in Teilchenbeschleunigern entstehen können, dann auch in der Erdatmosphäre, denn dort kommt es zu häufigen Zusammenstößen von höchstenergetischer kosmischer Strahlung (englisch „Ultra High-Energy Cosmic Rays“, abgekürzt zu UHECRs) mit Sauerstoff-, Kohlenstoff-, Stickstoff- und anderen Atomkernen aus der Atmosphäre.

Woher UHECRs kommen und um welche Teilchen es sich dabei im einzelnen handelt (Protonen? Leichte Atomkerne?) ist ungewiss – wir wissen nur, dass diese Teilchen uns aus den Tiefen des Weltalls erreichen. Bei den Kollisionen mit Atomkernen aus unserer Atmosphähre entstehen Schauer neuer Teilchen (vor allem Elektronen, ihre etwas massereicheren Verwandten namens Myonen sowie Photonen). Diese Teilchen lassen sich mit speziell für diesen Zweck gebauten weltraum- oder erdgestützten Detektoren nachweisen, wie hier schematisch dargestellt:

Teilchen der kosmischen Strahlung kollidieren in der Erdatmosphäre mit Atomkernen; dabei erzeugte sekundäre Teilchen werden auf der Erde mit einer Detektoranordnung nachgewiesen.

Die Energie für die Kollisionen, an denen die ultrahochenergetischen Teilchen der kosmischen Strahlung beteiligt sind, kann im Vergleich mit den in Teilchenbeschleunigern erreichten Energien enorm sein – in einigen Fällen wurden Energien von hunderten von TeV (hunderten Billionen Elektronenvolt) gemessen. Zwar sind derart hochenergetische Ereignisse extrem selten. Andererseits laufen diese Prozesse seit Milliarden von Jahren ab. Sind die Verhältnisse in unserem Universum so, dass sich in Teilchenbeschleuniger Schwarze Mini-Löcher erzeugen lassen, dann müssten sich bei den atmosphärischen Kollisionen seit Entstehung der Erdatmosphäre ebenfalls unzählige Schwarze Löcher gebildet haben – ohne, dass unser Heimatplanet dabei (bisher!) in einem Schwarzen Loch verschwunden wäre. Von den in Beschleunigern zu erwartenden Schwarzen Löcher mit deutlich geringerer Masse dürfte daher keinerlei Gefährdung ausgehen.

Die Seltenheit der ultrahochenergetischen Kollisionen ist einer der Gründe, warum es den Physikern noch nicht gelungen ist, nachzuprüfen, ob auf diesem Wege tatsächlich Schwarze Mini-Löcher entstehen. Das freilich könnte sich im Laufe der nächsten Jahre ändern, dann nämlich, wenn eine neue, besonders leistungsfähige Detektoranordnung, das Pierre Auger Cosmic Ray Observatory in Argentinien alle seine Detektoren in Betrieb genommen hat, was (Stand Ende 2006) in einigen Monaten der Fall sein dürfte.

Werden wir tatsächlich solche winzigen Schwarzen Löcher nachweisen? Das ist nicht einfach zu sagen. Momentan gibt es noch keinerlei direkte Hinweise darauf, dass die Modelle, in denen Extradimensionen eine Rolle spielen, auf dem richtigen Wege sind, geschweige denn, dass die hypothetischen Extradimensionen gerade die richtigen, nämlich die Erzeugung von Schwarzen Löchern in Teilchenbeschleunigern hinreichend begünstigenden Eigenschaften besitzen. Die Suche nach den Schwarzen Mini-Löchern ist ein Lotteriespiel. Wir müssen schon sehr großes Glück haben, um zu finden, was wir suchen. Andererseits winkt ein gewaltiger Hauptgewinn: Der erste direkte Nachweis, dass der Raum mehr als die gewohnten drei Dimensionen hat!

 

Weitere Informationen

Grundlagenwissen zu den hier angesprochenen Aspekten der Relativitätstheorie bietet Einstein für Einsteiger, insbesondere das Kapitel Relativität und Quanten.

Weitergehende Informationen über Extradimensionen bieten die Vertiefungsthemen Extradimensionen – und wie man sie versteckt, Die eingebettete Welt, Extradimensionen auf der Spur und Eine Frage der Sichtweise. Verwandte Vertiefungsthemen finden sich in der Kategorie Relativität und Quanten.

Kolophon
Marco Cavaglià

ist Physikprofessor an der Missouri University of Science and Technology. Seine Forschungsinteressen gelten dem Nachweis von Gravitationswellen, der Quantengravitation und der Kosmologie.

Zitierung

Zu zitieren als:
Marco Cavaglià, “Schwarze Löcher in Teilchenbeschleunigern?” in: Einstein Online Band 04 (2010), 03-1102