Lexikon

imaginäre Zeit (Koordinate)

In bestimmten Rechnungen in der Quantentheorie (insbesondere im Zusammenhang mit so genannten Pfadintegralen) spielt die folgende algebraische Umformung eine Rolle: Wo immer in einem bestimmten Stadium der Rechnung die Zeitkoordinate t auftritt, wird sie durch i·t ersetzt, wobei i die „imaginäre Einheit“ ist, definiert durch die bemerkenswerte Eigenschaft i·i=-1. Dann wird mit dieser veränderten Zeitkoordinate weitergerechnet, und in einem späteren Stadium der Rechnung wird die Ersetzung wieder rückgängig gemacht. Die Kombination T=i·t heisst imaginäre Zeit.

Die meisten solcher Rechnungen gehören in den Kontext der herkömmlichen Elementarteilchenphysik, in der Raum und Zeit durch die Spezielle Relativitätstheorie beschrieben werden. Dort gibt es mathematisch strenge Beweise die zeigen, dass das Rechnen mit der imaginären Zeit zu korrekten Resultaten führt.

Auch in einigen Ansätzen für eine Theorie der Quantengravitation spielt die imaginäre Zeitkoordinate eine Rolle. Dort allerdings haben wir es mit der flexiblen Zeit der Allgemeinen Relativitätstheorie zu tun, und dadurch wird die Angelegenheit ungleich schwieriger. Im Kontext der Quantengravitation ist bislang weder engültig geklärt, wie man beim Rechnen mit imaginärer Zeit im einzelnen vorgehen sollte, noch inwieweit solche Rechnungen tatsächlich zum richtigen Ergebnis führen. Beide Fragen sind Gegenstand aktueller Forschung.

Einige weitere Informationen über Pfadintegrale und die Rolle der imaginären Zeit bietet das Vertiefungsthema Auf allen möglichen Wegen zum Ziel, während der Zusammenhang mit der Quantenkosmologie im Vertiefungsthema Die Suche nach dem Quanten-Anfangszustand des Universums angesprochen wird.