Eine Frage der Sichtweise
Warum Dinge, die uns kompliziert scheinen, in einem Universum mit Extradimensionen ganz einfach sein könnten
Ein Artikel von Virginia Dippel
In Theorien wie der Stringtheorie hat unsere Welt zwangsläufig mehr als die drei Raumdimensionen, die wir aus dem Alltag kennen. Das ist zum einen ein Nachteil, denn die Physiker müssen sich Gedanken machen, wie es kommt, dass wir etwa von den zehn Raumdimensionen der Stringtheorien im Alltag nur drei wahrnehmen (dieser Frage sind die Vertiefungsthemen Extradimensionen – und wie man sie versteckt und Die eingebettete Welt gewidmet). Die zusätzlichen Dimensionen haben aber auch Vorteile, und die liegen salopp gesagt darin, dass Dinge, die in einem Raum mit weniger Dimensionen ganz verschieden scheinen, in einem höherdimensionalen Raum ein und dasselbe sein können – zwei Seiten derselben Medaille!
Objekte in der Ebene
Zur Veranschaulichung begeben wir uns in einen flachen zweidimensionalen Raum, in eine Ebene und betrachten die folgenden zwei Objekte:
Ich behaupte nun, dass Dreieck und Quadrat in Wirklichkeit (d.h. in unserem dreidimensionalen Raum) gleich (d.h. ein Ding) sind, während sie für ein zweidimensionales Flächenwesen, das in der Ebene lebt, unterschiedlich aussehen. Wie komme ich zu dieser Behauptung? Betrachten wir ein dreidimensionales Objekt, bei dem mindestens eine Seitenfläche dreieckig und (mindestens) eine andere quadratisch ist. Eine Pyramide mit quadratischer Grundfläche ist das wohl bekannteste Beispiel. In der zweidimensionalen Welt können wir niemals die ganze Pyramide sehen sondern immer nur eine ihrer Seiten oder einen Querschnitt – je nachdem wo sich die Pyramide im Verhältnis zur Ebene befindet.
Eine vereinheitlichte Beschreibung
In dem Fall, dass die Basisfläche der Pyramide parallel zu der hier betrachteten Ebene liegt, sehen die Bewohner der zweidimensionalen Welt ein Quadrat:
Dreht man aber die Pyramide im Raum solchermaßen, dass nun eine ihrer Seitenflächen in der Ebene zu liegen kommt, sehen die Flächenbewohner ein Dreieck:
Man kann es den Flächenbewohnern nicht verübeln, wenn sie zu dem Schluss kommen, bei Dreiecken und Quadraten handle es sich um zwei verschiedene Objekte. Wer höherdimensional (in diesem Falle: dreidimensional) wahrnimmt, sieht dagegen, dass nur ein einziges Objekt im Spiel ist – eben die Pyramide.
Das Beispiel zeigt: Was in weniger Raumdimensionen verschieden scheint, kann in höheren Raumdimensionen ein und dasselbe sein. Dort haben wir gesehen, dass in drei Dimensionen das scheinbare Quadrat kein Quadrat und das Dreieck kein Dreieck ist, und dass eine „Theorie“, die sich auf zwei Dimensionen beschränkt und darin Dreiecke und Quadrate beschreibt, noch nicht einmal die halbe Wahrheit erfasst. Ähnlich verhält es sich auch mit den Theorien, die postulieren, unser Raum hätte mehr als drei Dimensionen. Die verschiedenartigen Elementarteilchen , die wir im dreidimensionalen Raum beobachten, können sich aus höherdimensionalem Blickwinkel als verschiedene Manifestationen ein und desselben höherdimensionalen Teilchens erweisen. Für die theoretischen Physiker, die traditionell bestrebt sind, die Welt in so einheitlicher und einfacher Weise zu beschreiben wie möglich, ist das ein verlockendes Werkzeug. Tatsächlich besteht beispielsweise die Hoffnung, mit der Stringtheorie die ganze Vielfalt der Elementarteilchen letztendlich auf eine einzige Sorte von ausgedehntem Faden zu zurückzuführen, eben einen String – mit einer Vielfalt der Manifestationen, die sich zum Teil aus den höheren Raumdimensionen ergibt, in denen der String schwingen kann und die wir im Alltag außer Acht lassen.
Weitere Informationen
Die relativistischen Grundkonzepte, die diesem Vertiefungsthema zugrundeliegen, werden in Einstein für Einsteiger erklärt, insbesondere auf der Seite Superfäden und universelle Harmonie des Kapitels Relativität und Quanten.
Mehr zu den Extradimensionen bieten die Vertiefungsthemen Extradimensionen – und wie man sie versteckt und Extradimensionen auf der Spur. Verwandte Vertiefungsthemen auf einstein-online finden sich in der Kategorie Relativität und Quanten.
- Pyramidenbilder: T. Klose, AEI
Kolophon
ist eine ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin des Albert-Einstein-Instituts in Potsdam.
Zitierung
Zu zitieren als:
Virginia Dippel, “Eine Frage der Sichtweise” in: Einstein Online Band 04 (2010), 01-1129