Noble Relativität
Überblick über die Physik-Nobelpreise zur relativistischen Physik
Ein Artikel von Markus Pössel
Einsteins Relativitätstheorien sind die Basis für weite Teile der modernen Physik – kein Wunder, dass eine ganze Reihe von Nobelpreisen für Physik einen direkten Bezug zur Relativität haben. Die wichtigsten davon werden im folgenden kurz vorgestellt.
1921 – Albert Einstein
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die Relativitätstheorie zwar viele Nobelpreise nach sich gezogen hat, bei Einsteins Nobelpreis aber nur eine Nebenrolle spielte. Zwar wird sie in der Laudatio von Svante Arrhenius an prominenter Stelle erwähnt; in der kurzgefassten Begründung der Preisverleihung, ist dagegen nur allgemein von „Einsteins Verdiensten um die theoretische Physik“ die Rede. Explizit genannt wird allein Einsteins Erklärung des Photoeffekts.
1933 – Paul Dirac (zusammen mit Erwin Schrödinger)
Diracs Ehrung eröffnet die Parade jener relativistischen Nobelpreise, die die Verbindung von spezieller Relativitätstheorie und Quantenmechanik betreffen. Dirac ist der Pionier dieser so genannten relativistischen Quantenmechanik, er stellte mit der nach ihm benannten Dirac-Gleichung die erste Gleichung für das Quanten-Verhalten relativistischer Materieteilchen auf und kam damit einem grundlegend relativistischen Quantenphänomen auf die Spur: dem Umstand, dass für jede Sorte relativistischer Teilchen eine Art Spiegelbild existieren muss, eine Sorte entsprechender Antiteilchen. In einer Welt, in der elektrisch negativ geladene Elektronen existieren fordert Diracs Gleichung zwingend die Existenz von Anti-Elektronen, die dieselbe Masse haben, aber elektrisch positiv geladen sind.
1936 – Carl D. Anderson (zusammen mit Victor F. Hess)
Was zunächst ein Stolperstein für Diracs Theorie schien – wo waren denn die von ihm postulierten Anti-Elektronen? – entpuppte sich letztendlich als Triumph. In der kosmischen Strahlung, einer hochenergetischen Teilchenstrahlung, die die Erdoberfläche aus dem Weltraum erreicht, fand Carl Anderson Spuren der gesuchten Teilchen. Diracs Anti-Elektronen, mit derselben Masse wie Elektronen aber der entgegengesetzten elektrischen Ladung, gibt es wirklich! Heutzutage sind Antiteilchen fester Bestandteil der teilchenphysikalischen Modelle, und für die Anti-Elektronen hat sich die Bezeichnung Positronen eingebürgert.
1949 – Hideki Yukawa
Die Kraft, die die Protonen und Neutronen im Atomkern zusammenhält, hat nur eine endliche Reichweite: sie bindet zwar die Teilchen aneinander, aus denen der Atomkern besteht, aber bereits ein Neutron, das im Abstand von einem Billionstel Meter am Atomkern vorbeifliegt, ist außer Reichweite und wird nicht mehr beeinflusst. Zu jener Zeit existierte bereits das Konzept der Trägerteilchen von Elementarkräften: Kräfte werden von Teilchen übertragen. Dass sich beispielsweise zwei Elektronen elektrisch abstoßen erklärt sich auf Quantenebene durch den Austausch hin- und herflitzender Photonen, deren Aussendung und Absorption den Krafteinfluss von einem Elektron zum anderen überträgt. Yukawa fand eine theoretische Erklärung, die die kurze Reichweite der Kernkraft mit dem Umstand verknüpft, dass das betreffende Trägerteilchen eine Masse besitzt. Diesen Zusammenhang leitete Yukawa direkt aus einer relativistischen Quantengleichung für massive Teilchen ab, der Klein-Gordon-Gleichung.
1951 – John Cockcroft und Ernest T. S. Walton
Cockcroft und Walton beschossen Atomkerne des Lithiums mit schnellen Protonen und erzeugten so Helium-Atomkerne. Dies war die erste kontrollierte Umwandlung einer Sorte Atomkern in eine andere. Die Bilanz der Energien vor und nach dieser Reaktion ist eine Bestätigung der von Einstein postulierten Masse-Energie-Äquivalenz: die entstehenden Heliumkerne besitzen eine etwas geringere Masse als die von Proton und Lithiumkern, und die Massendifferenz schlägt sich in höherer Bewegungsenergie der Endprodukte nieder.
1955 – Willis Eugene Lamb und Polykarp Kusch
Lamb und Kusch wiesen in Präzisionsmessungen zwei Effekte nach, die die einfache relativistische Quantentheorie à la Dirac nicht erklären konnte: den so genannten Lamb Shift und eine Abweichung der magnetischen Eigenschaften des Elektrons von Diracs Vorhersage. Sie gaben den Anlass zur Entwicklung der relativistischen Quantenfeldtheorien, konkret: der Quantenelektrodynamik, der relativistischen Quantentheorie des elektromagnetischen Felds.
1959 – Emilio Segrè und Owen Chamberlain
In relativistischen Quantentheorien entspricht jeder Sorte Teilchen eine Sorte Antiteilchen. Segrè und Chamberlain erhielten ihren Preis für den Nachweis des Antiprotons, des Antiteilchens zu den Protonen des Atomkerns.
1963 – Eugene Wigner (zusammen mit Maria Goeppert-Mayer und J. Hans D. Jensen)
Kern der speziellen Relativitätstheorie ist das Relativitätsprinzip, verkürzt: Relativ zueinander bewegte Beobachter sind gleichberechtigt, für sie gelten exakt dieselben physikalischen Gesetze. In der Physik heißt solche Gleichberechtigung auch Symmetrie. Ob eine physikalische Theorie, sei es die Beschreibung elektromagnetischer Phänomene, die Dynamik von Flüssigkeiten oder die Theorie der Wärme, mit dem Relativitätsprinzip vereinbar ist, lässt sich in einem recht allgemeinen Formalismus entscheiden, der die Symmetrien der gegebenen Theorie untersucht. Wigner hat diesen Formalismus mit entwickelt, auf die Quantentheorie angewandt und damit die Grundlage der modernen relativistischen Quantenfeldtheorie geschaffen.
1965 – Shin-Itiro Tomonaga, Julian Schwinger, Richard P. Feynman
Von der Weiterentwicklung der frühen relativistischen Quantenmechanik zur relativistischen Quantenfeldtheorie war oben bereits kurz die Rede. Erst in diesen Quantenfeldtheorien haben nicht nur die Materieteilchen, sondern auch die zwischen ihnen wirkenden Kräfte Quantencharakter. Damit einher geht eine Verwischung der Unterscheidung zwischen Materie und Kraft, die im Zusammenhang mit Yukawas Modell der Kernkräfte bereits Erwähnung gefunden hat: Auch die Wirkung einer Kraft wird mit Hilfe von Teilchen repräsentiert, der Trägerteilchen der Kraft. Tomonaga, Schwinger und Feynman haben diese relativistische Quanten-Krafttheorie für den einfachsten Fall, die elektromagnetischen Kräfte, explizit ausgearbeitet und schufen so die Quantenelektrodynamik. Die Weiterentwicklung dieses ersten Beispiels für eine relativistische Quantenfeldtheorie zu dem umfassenderen Standardmodell der Teilchenphysik war Anlass für eine Reihe weiterer Nobelpreise; da dabei allerdings keine neuen Querverbindungen zur Relativitätstheorie ins Spiel kommen, sind sie hier nicht im einzelnen aufgeführt.
1974 – Antony Hewish (zusammen mit Martin Ryle)
Die Entdeckung, für die Hewish ausgezeichnet wurde, ist zwar keine Konsequenz der Relativitätstheorie, aber ein wichtiger Meilenstein für die relativistische Astrophysik. Zusammen mit seiner damaligen Doktorandin Jocelyn Bell-Burnell entdeckte Hewish den ersten Pulsar und stieß damit die Tür zu systematischen Beobachtung von Neutronensternen auf.
1978 – Arno Penzias und Robert Wilson (zusammen mit Pjotr Leonidowitsch Kapitsa)
Penzias und Wilson erhielten ihren Nobelpreis für den Nachweis der kosmischen Hintergrundstrahlung, einer Art Nachglühen aus der heißen Kinderzeit des Universums. Sie bestätigten damit eine Vorhersage, die Ralph Alpher und Robert Herman bereits 1948 auf der Basis der relativistischen Urknallmodelle getroffen hatten.
1983 – Subramanyan Chandrasekhar und William A. Fowler
Chandrasekhars Arbeit über die Stabilität von Weißen Zwergen, dem Endstadium massearmer Sterne, ist der Auftakt einer Forschungsreise, die die Wissenschaftler letztendlich zu den stellaren Schwarzen Löchern geführt hat. Die nach ihm benannte Chandrasekhar-Grenzmasse ist die maximale Masse, bei der der innere Druck eines Weißen Zwergs einen weiteren Kollaps aufhalten kann. Jenseits dieser Massengrenze wird ein kollabierender Sternrest zum Neutronenstern oder gar zum Schwarzen Loch.
Fowler erhielt den Preis für seine Forschungen zur Entstehung der verschiedenen chemischen Elemente im Universum. Ein Teil seiner Arbeit betraf dabei eine weitere Vorhersage der Urknall-Modelle der relativistischen Kosmologie, nämlich die Entstehung leichter Elemente im frühen Universum.
1993 – Russell A. Hulse und Joseph H. Taylor
Hulse und Taylor entdeckten den ersten Binärpulsar: ein Doppelsternsystem, indem sich ein Pulsar und ein Begleiterstern umkreisen. Aus ihren Beobachtungen an diesem PSR1913+16 genannten System folgte der erste indirekte Nachweis von Gravitationswellen.
2002 – Riccardo Giacconi (mit Raymond Davis Jr. und Masatoshi Koshiba)
Giacconi wurde für seine Pionierrolle bei der Entwicklung der Röntgenastronomie ausgezeichnet, unter anderem für den ersten Nachweis von Röntgenquellen, bei denen es sich nach heutiger Auffassung um Schwarze Löcher handelt.
2006 – John C. Mather und George F. Smoot
Mather und Smoot bekamen den Nobelpreis für ihre Beiträge zur COBE-Satellitenmission, insbesondere für genaue Messungen, die zeigen, dass es sich bei der kosmischen Hintergrundstrahlung zweifellos um eine Wärmestrahlung handelt, wie von den Urknallmodellen vorhergesagt, sowie für den Nachweis jener winzigen Fluktuationen in dieser Strahlung, aus denen letztendlich die großräumigen Strukturen des heutigen Weltalls entstanden sind.
2011 – Saul Perlmutter, Brian P. Schmidt und Adam G. Riess
Perlmutter erhielt eine Hälfte des Preises, Schmidt und Riess je ein Viertel. Sie wurden für Ihre Entdeckung der beschleunigten Expansion des Kosmos ausgezeichnet. Dazu benutzten sie die Beobachtung von Supernovae in weit entfernten Galaxien. Diese Entdeckung, die im Jahr 1998 veröffentlich wurde, erschütterte die Kosmologie in ihren Grundfesten. Bis ging die Kosmologie davon aus, dass die Expansion im Laufe der Zeit langsamer wird. Ohne zu wissen, was genau ihre Natur ist, wird die Beschleunigung der Expansion der „Dunklen Energie“ zugeschrieben.
2017 – Rainer Weiss, Barry C. Barish und Kip S. Thorne
Die Hälfte des Preises ging an Weiss, die andere Hälfte teilten sich Barish und Thorne. Sie alle erhielten die Ehrung für Ihren Beitrag zum LIGO-Observatorium und der erfolgreichen erstmaligen Messung von Gravitationswellen im Jahr 2015.
2020 – Roger Penrose, Reinhard Genzel und Andrea Ghez
Roger Penrose erhielt die Hälfte des Preises, Reinhard Genzel und Andrea Ghez gemeinsam die andere Hälfte. Roger Penroses Arbeiten zur Entstehung Schwarzer Löcher als stabile Vorhersage der Allgemeinen Relativitätstheorie wurde damit gewürdigt, sowie die Entdeckung des supermassiven Schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstraße durch Reinhard Genzel und Andrea Ghez.
Weitere Informationen
Die Themen zu den hier kurz beschriebenen Nobelpreisen sind über alle Abteilungen von Einstein für Einsteiger verstreut.
Kolophon
ist Astrophysiker am Max-Planck-Institut für Astronomie, Leiter des Hauses der Astronomie in Heidelberg und Initiator von Einstein Online.
Zitierung
Zu zitieren als:
Markus Pössel, “Noble Relativität” in: Einstein Online Band 02 (2006), 02-1116