Kosmologie / Einsteiger-Tour Teil 5: Geistermaterie und dunkle Energie

So beeindruckend die Art und Weise ist, in der die Urknallmodelle die Frühzeit des Universums zugänglich machen – an anderer Stelle zeigen sie uns, was wir noch nicht über unser Weltall wissen. Und das nicht nur, was die früheste Vergangenheit betrifft: Astronomische Beobachtungen und Urknallmodelle zeigen uns gemeinsam, dass die Materie aus Elektronen und Kernteilchen, die wir aus dem Alltag kennen, nur die Spitze des Eisbergs sind. Den überwiegend größten Anteil an der im Universum vorkommenden Masse haben Materie- und Energieformen, für die die Teilchenphysiker noch keine befriedigende Erklärung haben. Die Teilchen des Standardmodells der Elementarteilchenphysik, so scheint es, machen nur viereinhalb Prozent der im Universum enthaltenen Masse aus.

Weitere fünfundzwanzig Prozent entfallen auf eine Materieform, die dunkle Materie genannt wird. Solche Materie, die zwar zur Masse von Galaxien oder Galaxienhaufen beiträgt, aber nicht in Form leuchtender Sterne oder leuchtenden Gases vorliegt, können Astronomen auf verschiedene Art und Weise nachweisen. In dem folgenden Falschfarbenbild des Galaxienhaufens Cl0024+1654 geht das rötliche Licht auf herkömmliche, leuchtende Materie zurück; in weißblau ist zusätzlich die Dichte der dunklen Materie eingetragen, die Astronomen daraus erschließen konnten, wie diese Materie als Gravitationslinse auf das Licht dahinterliegender ferner Galaxien wirkt:

Gravitationslinsen machen die Verteilung dunkler Materie sichtbar

Gravitationslinsen machen die Verteilung dunkler Materie sichtbar
© ESA, NASA und Jean-Paul Kneib (Observatoire Midi-Pyrénées, France/Caltech, USA)

Die Untersuchungen deuten darauf hin, dass es sich bei einem Großteil der dunklen Materie um bislang noch nicht direkt nachgewiesene Elementarteilchen handeln dürfte, von den Physikern WIMPs getauft: „Weakly Interacting Massive Particles“, zu deutsch: massive Teilchen, die nur sehr schwach mit herkömmlicher Materie wechselwirken.

Die restlichen 70 Prozent der Masse entfallen auf die sogenannte dunkle Energie, eine Art Energie, die mit negativem Druck einhergeht und die dem leeren Raum innewohnt, ohne an irgendeine Art Materieteilchen gebunden zu sein. Genau so, wie herkömmliche Masse bestrebt ist, den Raum zusammenzuziehen, ist die dunkle Energie bemüht, den Raum beschleunigt auszudehnen. Beobachtungen an fernen Himmelsobjekten zeigen, dass unser Universum genau so eine beschleunigte Expansion durchmacht. Es ist zur Zeit noch nicht geklärt, ob es sich bei der dunklen Energie einfach um einen zusätzlichen, freien Parameter kosmologischer Modelle handelt oder ob die dunkle Energie auf eine ungewöhnliche Art Materiefeld zurückzuführen ist. Als Parameter, die sogenannte kosmologischen Konstante, hatte Einstein 1917 erstmals so etwas wie eine dunkle Energie in seine Gleichungen eingeführt; einige Teilchentheorien jenseits des Standardmodells der Elementarteilchenphysik könnten dagegen exotische Felder enthalten, die dieser dunklen Energie eine konkrete physikalische Bedeutung geben würden.