Die Wellennatur der Gravitationswellen
Illustrationen, die zeigen, dass Gravitationswellen tatsächlich Wellen sind – und nicht nur Gravitationsschwingungen
Ein Artikel von Markus Pössel
Was macht eine Gravitationswelle zur Welle? Die üblichen Illustrationen (und Animationen) zeigen den Einfluss einer Gravitationswelle auf eine Sammlung von Teilchen, die im Raum schweben:
In dieser Animation sind die roten Kugeln Teilchen freie Teilchen, und sie sind durch blaue Linien verbunden. Das sieht zwar so aus, als handle es sich um eine feste Verbindung; in Wirklichkeit sollen die blauen Linien nur der Anschauung dienen – es sind gedachte Linien, die zeigen, welche Teilchen direkt benachbart sind. Es soll sich explizit nicht um feste oder auch nur elastische Verbindungen zwischen den Teilchen handeln.
Der Einfluss der Gravitationswelle zeigt sich darin, wie sich die Abstände zwischen den Teilchen mit der Zeit verändern. In dem einfachen Beispiel der obigen Animation gibt es dafür zwei Möglichkeiten: In der Hälfte der Zeit dehnt die Gravitationswelle alle senkrechten Abstände zwischen Teilchen, während gleichzeitig alle horizontalen Abstände gestaucht werden. Den Rest der Zeit ist es gerade anders herum, und horizontale Abstände werden gestreckt, vertikale gestaucht. Wie immer in solchen Illustrationen sind Dehnung und Stauchung stark übertrieben dargestellt, damit die Abstandsänderungen mit bloßem Auge zu erkennen sind. Für realistische Gravitationswellen sind die Verzerrungen mehr als eine Milliarde Billionen Mal kleiner.
Zu dieser Art von Verzerrungen kommt es, wenn die Gravitationswelle sich senkrecht zur Bildebene ausbreitet und entweder direkt auf den Betrachter zu läuft oder sich aber direkt von ihm entfernt.
Einfache Sinusschwingungen
Würden wir uns zwei Teilchen herausgreifen und aufzeichnen, wie sich ihr Abstand mit der Zeit verändert, so wäre das Ergebnis eine stetige Folge von Maxima und Minima – für die in der obigen Animation dargestellte Situation sähe dies gerade so aus:
Der „Verzerrungsfaktor“ ist der Faktor, um den der Abstand entweder gestreckt (Faktor ist größer als eins) oder gestaucht (Faktor kleiner als eins) wird. In dieser Grafik beträgt die Schwingungsdauer zwei Sekunden, es kann aber sein, dass Ihr Computer und/oder Browser die zu Anfang gezeigte Animation der Schwingung etwas langsamer oder schneller abspielt.
In diesem besonders einfachen Falle ist die physikalische Größe, mit deren Hilfe man die Gravitationswelle beschreibt (nämlich die Art und Weise, wie sich das Quadrat des Abstandes zwischen benachbarten Teilchen verändert) eine einfache Sinusfunktion. Die entsprechenden Gravitationswellen heißen dementsprechend auch Sinuswellen.
Mit der obigen Animation (und anderen Standardanimationen wie im Abschnitt Der Rhythmus der Geometrie unserer Einführung Einstein für Einsteiger) haben wir bislang allerdings streng genommen noch keine Gravitationswellen gesehen, sondern lediglich „Gravitationsschwingungen“ – rhythmische Änderungen der Abstände zwischen Teilchen in einer bestimmten Ebene. Eine Welle ist noch mehr, nämlich ein Schwingungsmuster, das sich durch den Raum ausbreitet.
Von der Schwingung zur Welle
Im Falle der einfachen Gravitationswellen, die wir betrachtet haben, kommt damit die dritte Raumdimension ins Spiel. Die obige Animation zeigt eine einzige Ebene. Doch parallel zu dieser Ebene, sowohl unter als auch über ihr, existieren weitere Ebenen, auf denen sich Testteilchen befinden können. Die Abstände zwischen Testteilchen auf einer dieser anderen Ebenen verzerren sich genau so wie bei der Ebene, die wir betrachtet haben, mit einem einzigen entscheidenden Unterschied: einer Zeitverschiebung.
In dem Moment beispielsweise, in dem die senkrechten Abstände auf einer bestimmten Ebene maximal gestreckt sind, hat die senkrechte Streckung auf einer knapp dahinter liegenden Ebene ihren Maximalwert gerade noch nicht erreicht. Allgemein gilt: Liegt Ebene A hinter der Ebene B, dann wird sie von der Gravitationswelle etwas später erreicht als Ebene B. Dementsprechend hinken die Abstandsverzerrungen auf Ebene A während des ganzen Schwingungszyklus immer ein wenig hinter denen von Ebene B hinterher – was jetzt in diesem Moment auf Ebene B passiert, passiert auf der Ebene A ein kleines bisschen später. Hier ist eine Animation, die zeigt, was mit den Testteilchen auf den verschiedenen Ebenen vor sich geht. Die Gravitationswelle breitet sich dabei von rechts hinten nach links vorne aus, läuft also fast auf den Betrachter zu:
Erst die Zeitverzögerung zwischen den Ebenen führt dazu, dass wir wirklich eine Welle erhalten – ein sich durch den Raum ausbreitendes Schwingungsmuster. In der Animation ist deutlich zu sehen, wie Ausbeulungen und Dellen auf den Betrachter zu wandern.
Wenn wir die Welle aus anderer Perspektive betrachten, nämlich direkt von der Seite, können wir noch deutlicher sehen, dass es sich um ein Verzerrungsmuster mit Minima und Maxima ist, welches sich mit konstanter Geschwindigkeit durch den Raum bewegt, ähnlich wie es die Wellenberge und Wellentäler einer Wasserwelle tun:
Diese Perspektive zeigt noch eine wichtige weitere Eigenschaft einfacher Gravitationswellen: In Richtung der Wellenausbreitung – im obigen Bild die waagerechte Richtung – bleiben die Abstände zwischen den Teilchen unverändert. Nur senkrecht dazu kommt es zu Verzerrungen. In der Sprache der Physiker heißen solche Wellen transversal.
In einem Schnappschuss der obigen Animation kann man deutlich die Zeitverzögerung zwischen derjenigen Ebene sehen, die in diesem Moment in vertikaler Richtung maximal gestreckt wird, und den Nachbarebenen, die die maximale Streckung gerade hinter sich oder gerade noch vor sich haben:
Freilich: Selbst, wenn wir uns auf einfache, sinusartige Wellen spezialisieren, wird das Erscheinungsbild des wandernden dreidimensionalen Musters noch von den genauen Eigenschaften der betreffenden Schwingung abhängen (von dem, was Physiker die „Polarisation“ der Welle nennen). Hier ist ein etwas anderes Beispiel – eine einfache Sinuswelle, die „elliptisch polarisiert“ ist und deren wanderndes Muster wie eine sich durch den Raum vorwärts schraubende Spirale aussieht:
Doch wie auch immer die Details variieren mögen – wir haben es stets mit einem einfachen Muster zu tun, das sich durch den Raum ausbreitet, und daher heißen solche Muster mit Recht nicht „Gravitationsschwingungen“, sondern eben Gravitationswellen.
Weitere Informationen
Einführende Informationen über Gravitationswellen bietet Einstein für Einsteiger, insbesondere der Abschnitt Gravitationswellen.
Verwandte Vertiefungsthemen auf Einstein Online finden sich in der Kategorie Gravitationswellen.
Kolophon
ist Astrophysiker am Max-Planck-Institut für Astronomie, Leiter des Hauses der Astronomie in Heidelberg und Initiator von Einstein Online.
Zitierung
Zu zitieren als:
Markus Pössel, “Die Wellennatur der Gravitationswellen” in: Einstein Online Band 03 (2007), 03-1106