Masse und Mehr

Welche Eigenschaften die Gravitationswirkung von Materie bestimmen, und inwiefern das Konsequenzen für die Stabilität von Sternen und für das Universum als Ganzes hat

Ein Artikel von Markus Pössel

Einsteins Gravitationstheorie, die Allgemeine Relativitätstheorie, unterscheidet sich deutlich von der Newtonschen Beschreibung der Schwerkraft. Wohl der markanteste Unterschied ist die Rolle der Geometrie: Bei Einstein ist Gravitation keine Kraft, sondern untrennbar mit der Verzerrung der Geometrie von Raum und Zeit verbunden. Aber es gibt noch einen weiteren Unterschied, und der betrifft die Frage, was denn überhaupt Gravitationswirkungen hervorruft.

Masse

Bei Newton ist die Antwort eindeutig: Die entscheidende Eigenschaft ist die Masse. Die Stärke der Schwerkraft, die ein Körper auf andere Körper ausübt und mit der umgekehrt andere Körper auf ihn wirken ist direkt proportional zu seiner Masse. Die Masse spielt damit dieselbe Rolle für die Schwerkraft wie sie die elektrische Ladung eines Körpers für die elektrostatische Kraft spielt. Man könnte sagen, Masse sei so etwas wie Gravitationsladung.

Energie

Bei Einstein ist die Vielfalt der Gravitationsquellen größer. Die erste Verallgemeinerung wird durch Einsteins berühmteste Formel nahegelegt, durch die Äquivalenz von Masse und Energie, E = mc2. Diese Formel stammt zwar aus der speziellen Relativitätstheorie und enthält dort nur eine Aussage über die Masse als Maß für die Trägheit eines Körpers – den Widerstand, mit dem sich der Körper Versuchen widersetzt, ihn zu beschleunigen. Aber sie gilt ebenso in der allgemeinen Relativitätstheorie: Alle Arten von Energie wirken gleichermaßen als Quelle von Gravitation. Nicht nur die Masse der in einem Körper enthaltenen Elementarteilchen trägt zur Gravitationswirkung des Systems bei, sondern beispielsweise auch die Wärmeenergie des Körpers und die Energie etwaiger in dem Körper gefangener elektromagnetischer Strahlung.

Druck

Aber das ist noch nicht alles. Neben Masse (beziehungsweise Energie, genauer: Massendichte beziehungsweise Energiedichte) steht in Einsteins Gleichungen als weitere Gravitationsquelle der innere Druck, dem Materie ausgesetzt ist. Außer in Extremsituationen ist der Beitrag der Drücke zur Gravitation freilich weitaus zu gering, um eine merkliche Rolle zu spielen. Für massereiche Sterne kann dieser Beitrag dagegen ganz entscheidend sein: Sterne befinden sich in einem Gleichgewicht zwischen der Gravitation, die bemüht ist, die Sternmaterie auf immer kleinerem Raum zusammenzuziehen, und innerem Druck, der einer Volumenverkleinerung entgegenwirkt. Bei Sternen wie unserer Sonne ergibt sich der innere Druck aus der Wärmebewegung der Teilchen des Sternengases, und die wiederum wird aus der Energie gespeist, die im Sterneninneren durch Kernfusion freigesetzt wird. Je kompakter ein Stern (oder die Kernregion eines Sterns) bereits ist, umso größer der innere Druck, der nötig ist, um den weiteren Kollaps zu verhindern. Ab einem bestimmten Kompaktheitsgrad müsste der Gegendruck allerdings so groß sein, dass er seinerseits einen deutlichen Beitrag zur Gravitationsanziehung leisten – und so den Kollaps im Gegenteil noch beschleunigen würde! So ergibt sich eine Kompaktheitsgrenze, unterhalb derer keine Materieanordnung stabil sein kann – ein Objekt, das eine solche Kompaktheit erreicht, kollabiert unaufhaltsam weiter, bis sich ein Schwarzes Loch bildet.

Auch in der modernen Kosmologie spielt der Druckbeitrag eine wichtige Rolle. Astronomischen Beobachtungen zufolge ist unser Universum in eine Phase eingetreten, in der sich seine Expansion mit der Zeit mehr und mehr beschleunigt. Das lässt sich durch einen Zusatzterm in Einsteins Gleichungen erklären, die so genannte kosmologische Konstante. Äquivalent lässt sich diese kosmologische Konstante als ungewöhnliche Art von Energie interpretieren, die den Raum erfüllt und Dunkle Energie genannt wird. Im allgemeinen gilt für die Gravitation: Massen sind immer positiv, und die Gravitation ist daher universell anziehend. Mit der Dunklen Energie wäre allerdings per Definition ein negativer Druck assoziiert. Druck ist eine Quelle von Gravitation, und die Gravitationswirkung dieses negativen Drucks ist nicht anziehend, sondern in spezieller Weise abstoßend – sie ist es, die die Materie im Universum beschleunigt auseinanderfliegen lässt.

 

Weitere Informationen

Einführende Informationen zu Einsteins Gravitationstheorie bietet der Abschnitt Allgemeine Relativitätstheorie von Einstein für Einsteiger.

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Kolophon
Markus Pössel

ist Astrophysiker am Max-Planck-Institut für Astronomie, Leiter des Hauses der Astronomie in Heidelberg und Initiator von Einstein Online.

Zitierung

Zu zitieren als:
Markus Pössel, “Masse und Mehr” in: Einstein Online Band 01 (2005), 01-1113