Von der Kraft zum Feld

Über einen nicht nur für die Gravitationsphysik zentralen Begriff – den des Feldes.

Ein Artikel von Markus Pössel

In der üblichen Beschreibung von Fernkräften – etwa der elektrostatischen Kraft, über die ein Teilchen mit elektrischer Ladung andere geladene Teilchen beeinflussen kann – ist in punkto Kraft immer von mindestens zwei Teilchen die Rede, die aufeinander einwirken, niemals nur von einem einzigen. Das hat System, denn allgemein ist die Stärke einer solchen Kraft zwischen zwei Teilchen A und B proportional sowohl zur Ladung des Teilchens A als auch zur Ladung des Teilchens B. Ohne die Ladungen beider Teilchen zu kennen, kann man die Stärke der Kraft daher gar nicht bestimmen.

Trotzdem ist es in vielen Situationen sinnvoll und nützlich, den Einfluss von geladenen Teilchen zu beschreiben, ohne gleich ein konkretes Zielobjekt dieses Einflusses ins Spiel zu bringen. Die hierfür geeigneten physikalischen Größen heißen Kraftfelder oder, etwas allgemeiner, kürzer und weitaus üblicher, Felder.

Vom Schild zum Pfeil

Betrachten wir den einfachsten Fall, das zur elektrostatischen Kraft gehörende elektrische Feld rund um eine geladene Metallkugel. Bildlich können wir es uns so vorstellen, als schwebte an jedem Punkt des Raumes rund um die Metallkugel ein kleines Schild wie das folgende:

Elektrisches Feld als Schild mit Richtungsangabe

Will man die Kraft auf ein Teilchen herausfinden, das sich an einem bestimmten Ort befindet, dann muss man lediglich das imaginäre Schild an diesem Ort ablesen. Auf dem Schild steht die Kraft, die unsere Metallkugel auf ein Referenzteilchen mit der elektrischen Ladung 1 Coulomb ausübt. Wenn das Teilchen, um das es uns geht, eine größere oder geringere elektrische Ladung als 1 Coulomb hat, ist auch die wirkende Kraft entsprechend größer oder geringer. Konkret: Wenn unser Teilchen eine Ladung von X Coulomb hat, dann ist die darauf wirkende Kraft das Xfache der auf dem Schild notierten Kraft auf das Referenzteilchen.

Eine weitere Konvention berücksichtigt, dass positiv und negativ geladene Teilchen in ein und derselben Situation entgegengesetzte elektrische Kräfte verspüren: Dort, wo ein positiv geladenes Teilchen abgestoßen wird, wird ein negativ geladenes angezogen. Unser Referenzteilchen ist per Definition positiv geladen, und daher gilt: Ist die Ladung des Teilchens, das wir betrachten (und damit der Faktor X) negativ, dann wirkt auf dieses Teilchen eine Kraft exakt entgegen der Pfeilrichtung des Schilds.

Freilich ist es unnötig, die Informationen, die auf jedem Schild dieselben sind – dass es um ein Teilchen der Ladung 1 Coulomb beziehungsweise um eine Kraft geht – jedes Mal zu wiederholen. Worauf es wirklich ankommt sind nur zwei Informationen, die an jedem Ort bekannt sein müssen: Die Stärke und die Richtung der Kraft auf das Referenzteilchen. Für diese zwei Informationen ist kein Schild nötig, es genügt ein einfacher Pfeil, in der Sprache der Mathematiker ein „Vektor“:

Die Länge des Pfeils zeigt dabei die Stärke der Kraft an, die das am Fußpunkt P befindliche Testteilchen erfährt, seine Richtung die Wirkungsrichtung der Kraft. Hier ein Beispiel:

Vektorpfeil zeigt Stärke und Richtung der Kraft auf ein Referenzteilchen an

Der Vergleich der Pfeillänge mit der angegebenen Längenskala, die für unsere Pfeile gelten soll – ein Strecke, die als Pfeillänge einem Tausendstel Newton oder Millinewton, mN entsprechen soll – ergibt, dass am eingezeichneten Ort P in Richtung des Pfeiles eine Kraft von 2 Millinewton auf ein Referenzteilchen wirkt.

Scharen von Pfeilen

Genaugenommen ist für jeden Punkt im Raum ein solcher Feldvektor definiert. Die Gesamtheit aller dieser Pfeile bilden das elektrische Feld. In einer bildlichen Darstellung wird man freilich nur einige ganz wenige dieser Vektoren tatsächlich einzeichnen – gerade so viele, dass die einzelnen Vektoren zu erkennen sind, und dass die Gesamtheit der Vektoren einen guten Überblick über die Eigenschaften des betreffenden Feldes gibt. Hier sind einige repräsentative Pfeile, die uns einen Überblick über das elektrische Feld rund um eine geladene Metallkugel, die eine Ladung von 2 Coulomb trägt und einen Durchmesser von 16 Zentimetern besitzt:

Elektrisches Feld rund um eine geladene Kugel

Deutlich zeigen die Vektorpfeile an: Die Kraft ist an jedem Ort direkt vom Kugelmittelpunkt fort gerichtet. Das kommt nicht unerwartet: Die positiv geladene Kugel stößt unser positives Referenzteilchen elektrisch ab. Je weiter wir uns vom Kugelmittelpunkt entfernen, umso kürzer werden die Pfeile. Auch das ist keine Überraschung: Die elektrische Kraft zwischen zwei Ladungen ist umso kleiner, je weiter die Ladungen voneinander entfernt sind. Durch genaues Nachmessen der Pfeillängen kann man aus der Abbildung auch ablesen, wie die Kraftstärke von der Entfernung abhängt, nämlich umgekehrt quadratisch: Verdoppelt sich die Entfernung, ist die Kraft nur noch ein Viertel so stark wie vorher.

Das Gravitationsfeld

Genau analog zum elektrischen Feld lässt sich auch das zur Newtonschen Gravitationskraft gehörige Feld definieren: Jeder Pfeil zeigt dabei die Kraft an, die auf ein Referenzteilchen mit einer Masse ein Kilogramm wirkt. In einer Hinsicht ist die Situation dabei noch einfacher als bei der elektrischen Kraft: Es gibt nur eine Art von Masse, und alle Massen ziehen sich an. Die Pfeile – die Feldvektoren – zeigen daher in jedem Fall direkt die Kraftrichtung an, ohne dass man sich über positive und negative Ladungen Gedanken machen müsste.

In der nachfolgenden Abbildung sind ausgewählte Feldvektoren rings um eine kugelförmige Zentralmasse wie die Erde dargestellt:

Gravitationsfeld rund um die Kugelmasse der Erde

Alle Feldvektoren zeigen direkt auf den Erdmittelpunkt – dorthin ist die Gravitationskraft des Erdballs gerichtet, die auf alle Teilchen in der Umgebung unseres Planeten wirkt. Die Stärke der Gravitationskraft – die Länge der Pfeile – nimmt wiederum mit dem Quadrat des Abstands ab.

Magnetische Felder

Bei elektrischem Feld und Newtonschem Gravitationsfeld zeigt jeder Feldvektor direkt in Richtung der auf das Referenzteilchen wirkenden Kraft. Für Magnetfelder ist der Zusammenhang etwas indirekter, aber wieder gilt: Mit der Kraft, die ein Magnet auf vorbeifliegende elektrisch geladene Teilchen ausübt, ist ein Feld verbunden, das jedem Punkt im Raum einen magnetischen Feldvektor zuordnet. Die folgende Abbildung zeigt als Beispiel die Vektoren des Magnetfelds eines einfachen Stabmagneten mit Nord- und Südpol:

Magnetfeld eines Stabmagneten

Eingezeichnet sind dabei nur Vektoren ab einem bestimmten Mindestabstand vom Magneten. Vektoren, deren Fußpunkte weiter innen liegen, müssten so lang gezeichnet werden, dass sie die äußeren Vektoren schneiden und die Abbildung unübersichtlich machen würden.

Eine Bedeutung der Magnetfeld-Vektoren ist einfach zu verstehen: Bringt man einen kleinen Magneten in das bestehende Magnetfeld ein, dann wirken Kräfte, die sich bemühen, den kleinen Magneten so herumzudrehen, dass er exakt parallel zum Magnetfeldpfeil ausgerichtet ist (wobei der Nordpol in Pfeilrichtung liegt):

Kompassnadel im Magnetfeld

Dieser Effekt hat eine höchst praktische Anwendung: Er sorgt dafür, dass eine frei drehbare Kompassnadel in Richtung Norden zeigt.

Allgemeiner gesprochen geht mit Magnetfeldern eine Kraft auf bewegte elektrische Ladungen einher. Sie wirkt allerdings nicht direkt in Richtung des Feldpfeils, sondern etwas anders: Auch der Geschwindigkeit eines Teilchens kann man einen Pfeil zuordnen – die Länge des Pfeils zeigt an, wie schnell sich das Teilchen bewegt, die Pfeilrichtung zeigt an, in welche Richtung es fliegt. Die Richtung der ablenkenden Kraft ergibt sich aus der so genannten Rechte-Hand-Regel: Spreizen Sie Daumen, Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand so, dass je zwei der Finger senkrecht zueinander stehen – der Daumen ausgestreckt, der Zeigefinger gerade und der Mittelfinger im rechten Winkel zur Handfläche. Nehmen wir an, dass Ihr Daumen in Richtung des Magnetfeldvektors zeigt, und ihr Mittelfinger in Richtung der Geschwindigkeit eines elektrisch geladenen Teilchens in diesem Magnetfeld – genauer: In Richtung desjenigen Anteils der Geschwindigkeit, der einer Bewegung senkrecht zum Magnetfeldvektor entspricht. Dann erfährt das Teilchen eine Kraft in Richtung Ihres Zeigefingers, wie in der folgenden Abbildung skizziert:

Rechte-Hand-Regel: Magnetfeld, Geschwindigkeit, Kraft

Die Stärke der Kraft ergibt sich als Produkt aus der Geschwindigkeit, der Stärke des Magnetfeldes und der elektrischen Ladung des Teilchens.

Für eine allgemeinere Bewegungsrichtung des Teilchens gelangt man nach dem eben genannten Rezept vom Magnetfeld zur Kraft, wenn man überall dort, wo von Geschwindigkeit die Rede war, nur denjenigen Anteil der Teilchengeschwindigkeit einsetzt, der senkrecht zum Magnetfeld steht.

Der Tanz der Felder und Teilchen

Nach den bisherigen Schilderungen mag es scheinen, als seien Kraftfelder lediglich eine Hilfskonstruktion, um die Fernkräfte zwischen Materieteilchen zu beschreiben. Tatsächlich aber gibt es gute Gründe, Teilchen und Felder als gleichermaßen real anzusehen. Nehmen wir das elektromagnetische Feld als Beispiel: Ebenso wie Teilchen kommt auch elektrischen und magnetischen Feldern Energie zu – eine Raumregion, in der das elektrische oder das magnetische Feld von Null abweichen, enthält entsprechende Energie. Hinzu kommt, dass elektromagnetische Felder nicht nur wie in den oben gezeigten Bildbeispielen starr an elektrisch geladene Objekte oder Magnete gebunden vorkommen. Unter geeigneten Umständen kommt es zu Feldkonfigurationen, die sich, den Grundgleichungen des Elektromagnetismus folgend, fast vollkommen selbstständig durch den Raum ausbreiten: Dies sind elektromagnetische Wellen wie beispielsweise Licht.

Die Geschehnisse in einer mit elektrisch geladenen Teilchen gefüllten Region des Universums ergeben sich daher aus heutiger Sicht aus der Wechselwirkung von Feldern und Teilchen: Wo sich die geladenen Teilchen befinden und wie sie sich bewegen bestimmt die Eigenschaften der elektrischen und magnetischen Felder, die den Raum erfüllen. Die elektrischen und magnetischen Felder wiederum beeinflussen die Teilchenbewegung: Wie in der obigen Definition elektrischer und magnetischer Felder besprochen, führen elektrische Felder zu einer Kraft auf geladene Teilchen, magnetische Felder zu einer Kraft auf bewegte geladene Teilchen. Die veränderten Positionen und die veränderte Bewegung der Teilchen führen zu entsprechenden Veränderungen der Felder, die wiederum die Teilchenbewegung daraufhin etwas anders beeinflussen, und so immer weiter in einem endlosen Tanz der Felder und Teilchen.

Wer die Evolution solch eines Teilchen-Feld-Ensembles beschreiben will, muss diesen Tanz beschreiben, in dem Teilchen und Felder einander wechselseitig beeinflussen.

Etwas mathematischer formuliert gilt: Welche elektrischen und magnetischen Felder sich bei einger gegebenen Ladungskonfiguration ergeben, bestimmen die so genannten Feldgleichungen. Wie die Teilchenbewegung durch die Felder beeinflusst wird, regeln die so genannten Bewegungsgleichungen. Wer die Evolution eines Teilchen-Feld-Ensembles beschreiben will, muss das gekoppelte Gleichungssystem von Feld- und Bewegungsgleichungen lösen.

Nicht nur für Vektoren

In den obigen Beispielen für Felder war jedem Punkt im Raum ein Feldvektor zugeordnet – eine Größe mit Richtung und Länge. Genauer gesagt sogar jedem Punkt im Raum zu jedem Zeitpunkt, da sich die Felder mit der Zeit verändern können, wie im letzten Abschnitt ausgeführt.

Ganz allgemein haben wir es immer dann mit einem Feld zu tun, wenn jedem Punkt des Raums zu jedem Zeitpunkt ein Wert einer bestimmten physikalischen Größe zugeordnet ist. Das muss kein Vektor sein, sondern es kann sich durchaus um andere Arten von Größen handeln. In bestimmten Situationen, etwa zur Beschreibung eines Sterns, kann es sinnvoll sein, jeder Raumregion einen Temperaturwert zuzuordnen, der die Temperatur des darin enthaltenen Sternengases angibt. Das ist kein Vektor, sondern ein einfacher Zahlenwert.

Andererseits gibt es auch kompliziertere Möglichkeiten: In der Allgemeinen Relativitätstheorie beschreibt eine an jedem Punkt definierte Größe, die „metrisches Feld“ oder, kurz, „Metrik“ heißt, die Geometrie der betreffenden Raumregion zum gegebenen Zeitpunkt. In dieser Größe sind damit alle Angaben enthalten, die man benötigt um zu beschreiben, wie die Geometrie der entsprechenden Raumzeit verzerrt ist. In der Allgemeinen Relativitätstheorie hängt die Verzerrung direkt mit der Gravitation zusammen, und in diesem Sinne ist die Metrik so etwas wie das Gravitationsfeld der Theorie.

Weitere Informationen

Dieser Abschnitt stellt den Begriff des Feldes vor, der in der Speziellen und der Allgemeinen Relativitätstheorie (und nicht nur dort) von grundlegender Bedeutung ist. Grundlegende Informationen zu den Grundlagen beider Theorien bieten die Kapitel Spezielle Relativitätstheorie und Allgemeine Relativitätstheorie in Einstein für Einsteiger.

Kolophon
Markus Pössel

ist Astrophysiker am Max-Planck-Institut für Astronomie, Leiter des Hauses der Astronomie in Heidelberg und Initiator von Einstein Online.

Zitierung

Zu zitieren als:
Markus Pössel, “Von der Kraft zum Feld” in: Einstein Online Band 02 (2006), 02-1103