Allgemeine Relativitätstheorie / Einsteiger-Tour Teil 1: Einsteins geometrische Gravitation

Die Schlüsselidee von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie besteht darin, Gravitation nicht als Kraft zu betrachten, sondern als eine Eigenschaft der Geometrie von Raum und Zeit. Mit Hilfe der folgenden vereinfachten Analogie, in der die Rolle der vierdimensionalen Raumzeit von einer zweidimensionalen Fläche übernommen wird, lassen sich einige Aspekte der neuen Sichtweise illustrieren.

Stellen Sie sich leeren Raum vor – in der Analogie: eine zweidimensionale Ebene. Im Raum schweben einige Körper, zwischen denen keinerlei Kräfte wirken. In Abwesenheit äußerer Kräfte sind sich die klassische Mechanik und die auf der Speziellen Relativitätstheorie basierende Mechanik einig: Unter solchen Umständen bewegen sich Körper mit konstanter Geschwindigkeit auf den geradestmöglichen Bahnen (in diesem Fall sind solche Bahnen Geraden im Raum). Im nachfolgenden Bild ist dies durch die geraden Bahnen zweier Teilchen A und B angedeutet:

Ebene mit zwei geraden Teilchenbahnen

Ebene mit zwei geraden Teilchenbahnen

Insbesondere gilt: Teilchen, deren Bahnen parallel verlaufen (wie in obigem Bild) werden niemals zueinander finden – der Abstand zwischen ihren Bahnen bleibt unverändert.

Wenn Teilchen von diesem Verhalten abweichen, so heißt dies in der klassischen Physik, dass eine Kraft im Spiel ist, die auf mindestens eines der Teilchen wirkt. Kräfte beschleunigen Teilchen, und das wird im allgemeinen dazu führen, dass sie von ihren geradestmöglichen Bahnen abweichen und stattdessen gebogene Bahnen beschreiben. In unserem zweidimensionalen Bild kann das zum Beispiel so aussehen:

Ebene mit zwei gebogenen Teilchenbahnen

Ebene mit zwei gebogenen Teilchenbahnen

Zwar sind die Bahnen der Teilchen in diesem Bild anfangs noch parallel, doch dann werden sie aufeinander zu beschleunigt. In Newtons Gravitationstheorie ist Gravitation eine Kraft, die solch einen Effekt hervorrufen kann. Wenn die beiden Teilchen in obiger Abbildung aufeinander zu beschleunigt werden und sich letztendlich an einem Punkt treffen, dann könnte dies darauf zurückzuführen sein, dass sich just an jenem Treffpunkt eine Masse befindet, die sie beide vermittels der Gravitation anzieht.

Es gibt aber noch eine zweite Möglichkeit, warum die Bahnen zweier Teilchen, die zunächst parallel zueinander fliegen, konvergieren und die Teilchen nach einiger Zeit zusammentreffen. Es könnte sein, dass die beiden Teilchen nach wie vor auf den geradestmöglichen Bahnen laufen – nur nicht auf einer Ebene, sondern auf einer gekrümmten Fläche! Die folgende Abbildung zeigt ein Beispiel:

Globus mit geodätischem Dreieck

Globus mit geodätischem Dreieck

Unter diesen Bedingungen muss man keine Kraft postulieren, um zu erklären, warum die Teilchenbahnen zueinander hin gebogen sind. Der bloße Umstand, dass die Teilchen sich auf einer Kugelfläche bewegen, sorgt dafür, dass ihre zunächst parallelen geradestmöglichen Bahnen konvergieren.

Einsteins Gravitationstheorie, die Allgemeine Relativitätstheorie, ist das Analogon dieser zweiten Art von Erklärung. In Newtons Theorie sorgt die Gravitationskraft dafür, dass Teilchen von ihren geraden Bahnen abweichen. In Einsteins Theorie ist Gravitation eine Verzerrung der Raumzeit. Teilchen folgen nach wie vor den geradestmöglichen Bahnen in dieser Raumzeit, doch aufgrund der Verzerrung werden sie, selbst auf diesen geradestmöglichen Bahnen, relativ zueinander beschleunigt – gerade so, als wären sie unter dem Einfluss dessen, was bei Newton die Gravitationskraft ist.