Wie das Event-Horizon-Teleskop Schwarze Löcher ablichtet

Mit dem Event-Horizon-Teleskop beobachten Forschende Schwarze Löcher in den Zentren von Galaxien mit hoher Auflösung.

Ein Artikel von Anne-Kathrin Baczko, Anton Zensus und Denise Müller-Dum

Nachdem die Nobelpreisträger Reinhard Genzel (Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik in Garching, Deutschland) und Andrea Ghez (University of California in Los Angeles, USA) bereits durch Sternbewegungen nachgewiesen hatten, dass ein Schwarzes Loch das Zentrum der Milchstraße bildet, gibt es seit Mai 2022 auch einen direkten, visuellen Beweis dafür. Erstmals gelang es, ein Bild des supermassereichen Schwarzen Lochs im Zentrum unserer Galaxie aufzunehmen.

Aufnahme des Schwarzen Lochs im Zentrum unserer Milchstraße, Sagittarius A*.
Diese Aufnahme von Sagittarius A*, dem Schwarzen Loch im Zentrum der Milchstraße, ging im Mai 2022 um die Welt. © EHT Kollaboration

Bild von einem Unsichtbaren

Das Schwarze Loch selbst sendet kein Licht aus, weshalb es sich nicht direkt ablichten lässt. Allerdings sieht man auf der Aufnahme glühendes Gas, das mit hoher Geschwindigkeit um das Schwarze Loch kreist – die sogenannte Akkretionsscheibe. Dieses glühende Gas emittiert Radiowellen, die sich mit Teleskopen auf dem Erdboden beobachten lassen. Dabei ist die dunkle Region in der Mitte nicht, wie man meinen könnte, der Ereignishorizont des Schwarzen Lochs, sondern sein „Schatten“: Dieser entsteht, weil das Licht durch die Gravitationskraft des Schwarzen Lochs abgelenkt wird. Der kleinstmögliche Abstand, mit dem es sich um das Schwarze Loch bewegen kann, ohne hineinzufallen, legt das Ausmaß der dunklen Zentralregion in diesem Bild fest.

Visualisierung eines Schwarzen Lochs. Die schwarze Zentralregion ist der „Schatten“ des Schwarzen Lochs, umgeben vom Photonenring. Die Zentralregion ist umgeben von der Akkretionsscheibe. Aufgrund von Gravitationseffekten erscheint sie verzerrt. © NASA’s Goddard Space Flight Center/Jeremy Schnittman; Beschriftungen wurden ins Deutsche übertragen.

Ermöglicht wurde die Aufnahme von Sagittarius A* durch Very Long Baseline Interferometrie (VLBI). Dabei werden Radioteleskope auf der ganzen Welt zu einem einzigen virtuellen Teleskop zusammengeschaltet – dem Event-Horizon-Teleskop (EHT). Denn um die höchstmögliche Auflösung zu erhalten, gibt es zwei Stellschrauben: Die Beobachtung bei einer möglichst kurzen Wellenlänge und ein möglichst großes Teleskop. Mit einer Wellenlänge von 1,3 Millimetern geht das EHT bereits sehr nah an die Grenze des technisch machbaren. Die Größe ist ebenfalls limitiert, da ab einem bestimmten Durchmesser die Konstruktion das eigene Gewicht nicht mehr tragen könnte. Somit besteht die einzige Option, die Auflösung noch weiter zu verbessern, darin, ein virtuelles Teleskop zu erschaffen. Dies ist möglich, indem mehrere Teleskope zum gleichen Zeitpunkt die gleiche astronomische Quelle beobachten. Die Strahlung der Quelle erreicht die einzelnen Teleskope zu leicht unterschiedlichen Zeiten, die präzise gemessen werden. Ein Supercomputer verbindet die Datenströme der einzelnen Teleskope und erschafft somit ein virtuelles Teleskop, im Falle des EHT von der Größe der Erde. Das Prinzip ähnelt dem der optischen Interferometrie, die etwa am VLTI eingesetzt wird. Das EHT erlaubt es somit prinzipiell, ein Objekt in der Größe eines Tischtennisballs auf dem Mond zu erkennen.

2017, als das Bild von Sagittarius A* aufgenommen wurde, gehörten folgende Observatorien zum EHT:

  • Atacama Large Millimeter Array (ALMA) in Chile
  • Atacama Pathfinder Experiment (APEX) in Chile
  • IRAM 30-m-Teleskop in Pico Veleta, Spanien
  • James-Clark-Maxwell-Teleskop (JCMT) auf Maunakea, Hawaii, USA
  • Großes Millimeter-Teleskop (LMT) Alfonso Serrano in Mexiko
  • Südpolteleskop (SPT)
  • Submillimeter-Array (SMA) auf Maunakea, Hawaii, USA
  • Submillimeter-Teleskop (SMT) auf dem Mount Graham in Arizona, USA

Seitdem sind noch weitere Teleskope hinzugekommen (Stand Juli 2022):

  • 12-m-Teleskop der University of Arizona auf dem Kitt Peak, AZ, USA.
  • Grönland-Teleskop
  • IRAM-NOEMA-Teleskop in den französischen Alpen
Fotomontage der Radioobservatorien, die das EHT bilden. Die leicht transparenten Teleskope sind seit 2018 hinzugekommen. © ESO/M. Kornmesser. Images of individual telescopes: ALMA: ESO/APEX: ESO/LMT: INAOE Archives/GLT: N. Patel/JCMT: EAO-W. Montgomerie/SMT: D. Harvey/30m: N. Billot/SPT: Wikipedia/SMA: S. R. Schimpf/NOEMA: IRAM/ Kitt Peak: Wikipedia/ Milky Way: N. Risinger (skysurvey.org)

Mit diesem Teleskopverbund untersuchen Forschende aktive Galaxien und die Umgebung Schwarzer Löcher in großer Entfernung. Bei der ersten Messkampagne des EHT im April 2017 nahmen die Forschenden verschiedene Galaxien in den Blick – unter anderem Virgo A in 53 Millionen Lichtjahren Entfernung von der Erde.

Von der Beobachtung zum Bild

Besonders leistungsfähige, hochspezialisierte Supercomputer – sogenannte Korrelatoren – verbinden die Daten der einzelnen Teleskope zu einem gemeinsamen Datensatz. Einer dieser Korrelatoren steht am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn. Etwa die Hälfte der Daten aus der Messkampagne 2017 wurde dort verbunden. 2019 konnten die Forschenden daraus ein Bild von M87* im Zentrum der Galaxie Virgo A generieren. Dieses Bild sorgte im Jahr 2019 für Schlagzeilen – es war die erste direkte Aufnahme eines Schwarzen Lochs überhaupt.

Frontale Ansicht eines Supercomputers
Der Korrelator am Max-Planck-Institut für Radioastronomie. © MPIfR

Auch Sagittarius A* wurde im April 2017 mehrere Nächte lang beobachtet. Die Auswertung der Daten dauerte jedoch länger – und das, obwohl das 27.000 Lichtjahre entfernte Zentrum unserer Galaxie viel näher ist als M87*. Ein entscheidender Grund dafür war im Endeffekt der Größenunterschied der beiden Schwarzen Löcher. Während das nahezu lichtschnelle heiße Gas einige Tage bis Wochen brauchte, um M87* zu umkreisen, sind es bei dem viel kleineren Sagittarius A* nur Minuten. Sein Erscheinungsbild änderte sich also während der Beobachtungen sehr schnell. Die Präzision der VLBI-Technik und damit letztlich die Sensitivität und Auflösung des virtuellen Teleskops bauen jedoch darauf auf, dass sich die beobachtete Quelle über einen längeren Zeitraum nicht ändert. Hinzu kommt, dass die Erde in der galaktischen Ebene der Milchstraße liegt – dadurch entstehen Streueffekte. Die Forschenden mussten neue Methoden entwickeln, um diese und noch weitere Störeffekte rauszurechnen.

Im Mai 2022 veröffentlichten die Forschenden der EHT-Kollaboration schließlich das erste Bild des Schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstraße. Dieses stellt einen Mittelwert tausender von Bildern dar, die von unterschiedlichen Wissenschaftler:innen mit verschiedensten Methoden aus denselben korrelierten Daten rekonstruiert wurden. Die ringförmige Struktur hat augenfällig starke Ähnlichkeit mit der von M87*, ist aber – wie vorhergesagt – mehr als tausendmal kleiner, entsprechend seiner geringeren Masse.

Übersicht, aus welchen Bildklassen sich das Bild von Sagittarius A* im Einzelnen zusammensetzt.
Die Aufnahme von Sagittarius A* (großes Bild) ist eine Mittelung aus tausenden von Bildern. Diese können anhand ähnlicher Strukturen in vier Gruppen – sogenannte Cluster – eingeteilt werden. Für jedes dieser Cluster ist unten ein repräsentatives Bild gezeigt. Die Balken zeigen die relative Anzahl von Bildern für jedes dieser Cluster. © EHT Kollaboration

Überprüfung von Theorien

Sagittarius A* war bereits vor der Beobachtung mit dem EHT Ziel vieler astronomischer Untersuchungen. So waren seine Masse von 4,3 Millionen Sonnenmassen sowie seine Entfernung von der Erde, die 27.000 Lichtjahre beträgt, unter anderem durch die Arbeit der Nobelpreisträger Reinhard Genzel und Andrea Ghez genau bekannt. Das erlaubte es den Forschenden, die Größe des Schattens vorherzusagen und mit den Messungen zu vergleichen. Das Ergebnis: Die gemessenen Dimensionen stimmen mit den Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie sehr gut überein.

Spannend wird es auch sein, mithilfe der Bilder die zwei Schwarzen Löcher Sagittarius A* und M87* miteinander zu vergleichen. Außerdem lässt sich mit den Daten überprüfen, wie gut die aktuellen Theorien das Verhalten von Schwerkraft und Materie in der Umgebung von supermassereichen Schwarzen Löchern beschreiben.

Die Messungen sind damit nicht beendet: Mit nun elf Observatorien beobachtete das Event-Horizon-Teleskop den Nachthimmel während einer Kampagne im März 2022.

Weitere Informationen

Kolophon
Anne-Kathrin Baczko

ist Astrophysikerin am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn.

Anton Zensus

ist Direktor des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie in Bonn und leitet dort die Forschungsabteilung „Radioastronomie/VLBI“.

Denise Müller-Dum

ist Physikerin und Geowissenschaftlerin und arbeitet als Wissenschaftskommunikatorin in Bremen.

Zitierung

Zu zitieren als:
Anne-Kathrin Baczko, Anton Zensus und Denise Müller-Dum, “Wie das Event-Horizon-Teleskop Schwarze Löcher ablichtet” in: Einstein Online Band 14 (2022), 1103