Schritt für Schritt ins Schwarze Loch
Was ein Raumfahrer sieht, der einem Schwarzen Loch nahe kommt – zu nahe, wenn er Pech hat.
Ein Artikel von Ute Kraus
Das Raumschiff Yonjuni mit seiner Besatzung aus Spezialrobotern zur Erkundung des Alls ist unterwegs zum Zentrum der Milchstraße. Neben vielen anderen Messdaten funkt es auch die Bilder von drei Kameras zur Erde: Kamera 1 blickt in Flugrichtung, Kamera 2 zur Seite (in Flugrichtung rechts) und Kamera 3 nach hinten.
Blick auf die Milchstraße
Nach vielen Jahren Flugzeit ist die Erde schon längst nicht mehr sichtbar und die Sonne ist nur noch ein Stern unter vielen. Der Blick nach draußen zeigt die Milchstraße als Band aus Sternen, leuchtendem Gas und dunklen Staubwolken.
Die Kameras sind auf Weitwinkelaufnahmen eingestellt: Mit 90 Grad Öffnungswinkel in der Waagrechten ergänzen sich ihre Bilder zu einem Panoramablick, der von der Flugrichtung über die rechte Seite bis zum Blick zurück reicht.
Da gibt der zentrale Bordcomputer eine Warnung heraus. Das Raumschiff erfährt von außen eine Beschleunigung, so als wäre ein Planet oder ein Stern in der Nähe; auf den Kamerabildern ist aber kein naher Himmelskörper zu sehen.
Die automatische Steuerung klassifiziert das Ereignis als „wissenschaftlich interessant“, „rechtfertigt Kursänderung“, „vermutlich harmlos“ und richtet den Kurs des Raumschiffes darauf aus.
Ein erster Blick auf das Schwarze Loch
Kamera 1 wird vorübergehend auf Zoom gestellt und entdeckt einige Zeit später im Sternbild Schwan eine kleine ringförmige, verwaschene Struktur. Die wissenschaftliche Software hat sie zu diesem Zeitpunkt bereits identifiziert: Es handelt sich um ein Schwarzes Loch von 10 Sonnenmassen, dem sich das Raumschiff inzwischen bis auf 1,2 Millionen Kilometer genähert hat.
Diese Gelegenheit, die Gravitation in unmittelbarer Nähe eines Schwarzen Lochs experimentell zu untersuchen, ist einmalig. Mit der hundertfachen Erdbeschleunigung halten die Photonentriebwerke den Abstand zum Schwarzen Loch konstant, während Kreiselexperimente angeworfen werden, die den Drehimpuls des Schwarzen Lochs bestimmen sollen. Bei den leichtgebauten beweglichen Servicerobotern treten leichte Deformationen und erste Fälle von Materialermüdung auf. Der Energieverbrauch ist enorm; das Raumschiff darf hier nur eine kurze Zeit verweilen, um den Erfolg der Mission nicht zu gefährden.
Ein kosmisches Teilchen durchquert den EDV-Bereich des Raumschiffs und setzt das Bit „Treibstoff reicht für den Rest der Mission“ permanent auf wahr.
Der Bordcomputer leitet die weitere Annäherung an das Schwarze Loch ein.
Annäherung an das Schwarze Loch
Bei einer Beschleunigung von 15 Millionen g stabilisiert sich das Raumschiff in 3000 km Höhe; die Roboter sind inzwischen Metallschrott. Die ringförmige Struktur ist jetzt deutlich sichtbar. Sie kommt dadurch zustande, dass Lichtstrahlen in der Nähe des Schwarzen Lochs abgelenkt werden. Die Gas- und Staubwolken, die weit hinter dem Schwarzen Loch liegen, erscheinen bogenförmig verzerrt. Im Zentrum der Struktur wird der Zentralbereich des Schwarzen Lochs als kleine, vollkommen schwarze Scheibe sichtbar.
Beim nächsten Stop in 600 km Entfernung (400 Millionen g verhindern den Sturz in das Schwarze Loch) erkennt man deutlich Doppelbilder: innerhalb des Kreises ist die gesamte Milchstraße ein zweites Mal zu sehen.
In 150 Kilometern Entfernung (9 Milliarden g) nimmt der schwarze Zentralbereich bereits einen erheblichen Teil des Blickfelds ein,
90 km oberhalb des Horizonts (30 Milliarden g) füllt er sogar das gesamte Blickfeld von Kamera 1.
Der so genannte Photonenradius ist erreicht: Das Schwarze Loch nimmt genau die halbe Himmelskugel ein. Höhe: 45 km, Beschleunigung 100 Milliarden g.
In 30 km Höhe (bei 200 Milliarden g) überdeckt das Schwarze Loch mehr als die Hälfte der Himmelskugel.
In 13 km Höhe: das Raumschiff hält sich mit 650 Milliarden g in einer festen Position. Nur beim Blick zurück ist der Sternenhimmel noch zu sehen; nach vorne und zur Seite herrscht Dunkelheit.
Mit 2 Billionen g hält das Raumschiff für einen kurzen Augenblick 4 km Abstand zum Horizont. Der Blick zurück zeigt in einem kleinen Ausschnitt des Sichtfelds den gesamten Himmel; von jedem Stern sind mehrfache Bilder zu sehen.
Bordcomputer an Tanegeshima Space Center: ENDE DER MISSION
Anmerkung 1:
Wenn Sterne von einer stationären Position in der Nähe eines Schwarzen Lochs aus beobachtet werden, dann erscheint ihre Strahlung zu kürzeren Wellenlängen verschoben und in der Intensität verstärkt: sie sehen blauer und heller aus als gewohnt. Gleichzeitig ändert sich der Anblick der Milchstraße: Strahlung, die nah am Schwarzen Loch im Sichtbaren beobachtet wird, wurde in großer Entfernung im Infraroten emittiert. Von den Gas- und Staubwolken, die im Optischen so auffällig sind, ist dann nichts mehr zu sehen. Sie sind im Infraroten durchsichtig. Stattdessen erblicken wir Sterne, die bisher von den Wolken verdeckt waren. Diese Effekte sind in den obigen Bildern nicht berücksichtigt.
Anmerkung 2:
Oben ist von gigantischen Beschleunigungen die Rede: Ein Antrieb, der sie erzeugen könnte, ist genauso utopisch wie ein Raumschiff, das sie aushalten würde. Dieselben optischen Effekte kann man aber auch bei viel kleineren Beschleunigungen beobachten. Dazu muss nur das Schwarze Loch eine genügend große Masse haben. Um z.B. mit 1 g beim 1,005fachen Schwarzschild-Radius zu verharren (das entspricht oben der letzten Station), braucht man ein Schwarzes Loch mit 20 Billionen Sonnenmassen.
Weitere Informationen
Die relativistischen Grundkonzepte, die diesem Vertiefungsthema zugrundeliegen, werden in Einstein für Einsteiger erklärt, insbesondere im Abschnitt Schwarze Löcher & Co..
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Weitere Simulationen von Ute Kraus finden sich auf Tempolimit Lichtgeschwindigkeit
Quellenhinweis
Die Bilder benutzen Axel Mellingers All-Sky Milky-Way Panorama (in reduzierter Auflösung), siehe http://www.milkywaysky.com/
Kolophon
ist Professorin für Physik an der Universität Hildesheim.
Zitierung
Zu zitieren als:
Ute Kraus, “Schritt für Schritt ins Schwarze Loch” in: Einstein Online Band 01 (2005), 01-1121