Die Gravitationswellen-Detektoren der dritten Generation

Ab den 2030ern sollen Gravitationswellenobservatorien der dritten Generation das All belauschen. Sie sind um ein Vielfaches empfindlicher als die aktuellen Detektoren und könnten so eine Reihe neuer Erkenntnisse über die unsichtbare Seite des Universums liefern.

Ein Artikel von Benjamin Knispel

Advanced LIGO und Advanced Virgo haben das Zeitalter der Gravitationswellenastronomie eingeläutet und bislang 90 Signale eingefangen (Stand: Juni 2022). In den nächsten Jahren werden diese kilometergroßen und hochpräzisen Messinstrumente gemeinsam mit dem japanischen KAGRA und dem geplanten LIGO India viele weitere Gravitationswellen aufspüren und neue Erkenntnisse über die unsichtbare Seite des Universums liefern. Doch bereits seit längerer Zeit bereiten Wissenschaftler:innen auch die nächste Generation Gravitationswellendetektoren vor – noch größere und um ein Vielfaches empfindlichere Observatorien, die ab den 2030ern das All belauschen sollen.

Während der Gravitationswellendetektor LISA im All niederfrequente Raumzeitwellen auffangen soll, die sich vom Erdboden aus nicht nachweisen lassen, werden die irdischen Detektoren der sogenannten „dritten Generation“ einen ähnlichen Frequenzbereich wie die derzeitigen Instrumente erfassen – allerdings sind sie bis zu 10-mal empfindlicher als Advanced LIGO und Advanced Virgo in ihrer finalen Ausbaustufe. Zwei internationale Projekte sind derzeit in Vorbereitung: in Europa unter dem Namen „Einstein-Teleskop“ und in den USA als „Cosmic Explorer“. Beide Instrumente werden noch deutlich größer als die heutigen Anlagen sein. Ihr Aufbau unterscheidet sich aber teilweise deutlich.

Das Einstein-Teleskop

Das Einstein-Teleskop (ET) soll wie der japanische KAGRA-Detektor unterirdisch angelegt werden. In geeignetem Untergrund lässt sich damit der auf der Erde stets vorhandene Störeinfluss seismischer Erschütterungen verringern. Ähnlich zu einem Gegenstand, der in einem gut gepolsterten Paket vor äußerem Rütteln und Schütteln geschützt ist, wäre ein unterirdisch angelegter Detektor bei geeignet „gepolstertem“ Untergrund auch besser von menschengemachter Bodenbewegung an der Erdoberfläche isoliert. Zudem ist unter der Erde das sogenannte Newtonsche Rauschen geringer. Es stammt von niederfrequenten lokalen Fluktuationen des irdischen Gravitationsfelds (beispielsweise durch atmosphärische Prozesse, seismische und akustische Wellen, aber auch menschengemachte Veränderungen), die die Endspiegel der Detektoren auslenken und so als zusätzliche Rauschquelle im Instrument auftreten. Derzeit wird die Eignung von drei möglichen Standorten geprüft: Die Euregio Maas-Rhein im Dreiländereck Belgien-Deutschland-Niederlande, die Mittelmeerinsel Sardinien und der deutsche Teil der Lausitz.

Das Tunnelsystem des ET soll die Form eines gleichseitigen Dreiecks mit 10 Kilometer langen Kanten haben. Jeweils zwei benachbarte Tunnel beinhalten einen Gravitationswellendetektor. Diese Anordnung hat den Vorteil, dass jeder Tunnel nur einmal angelegt werden muss, aber von zwei Instrumenten genutzt werden kann. Durch den Betrieb von drei identischen Gravitationswellendetektoren an einem Ort lassen sich den eingefangenen Signalen zusätzliche Informationen entlocken, die sonst erst beim Zusammenschalten weit voneinander entfernter Instrumente verfügbar wären. Auch lokale Störsignale können dadurch leichter als solche identifiziert werden. Demnach erhöht sich die Nachweissicherheit.

Künstlerische Darstellung des Einstein-Teleskops. Gezeigt ist die Dreiecksform, im Hintergrund sind Himmelsobjekte angedeutet.
Künstlerische Darstellung des Einstein-Teleskops, das in einem dreieckigen unterirdisch angelegten System 10 Kilometer langer Tunnel in Europa aufgebaut werden soll. © NIKHEF

Zusätzlich sollen beim ET an jeder Ecke des Tunnelsystems zwei Interferometer zum Einsatz kommen, um das wahrnehmbare Frequenzband zu verbreitern. Denn technisch ist es nicht möglich, ein Instrument für beide Frequenzbereiche gleichzeitig zu optimieren. So ist beim ET jeweils ein Instrument (mit geringer Laserleistung und tiefgekühlten Spiegeln) auf Gravitationswellen niedriger Frequenz spezialisiert (ca. 2 Hz bis 40 Hz), das andere (mit hoher Laserleistung bei Raumtemperatur) auf die bei höheren Frequenzen (40 Hz bis einige kHz). In dieser „Xylophon“-Konfiguration werden die Messdaten beider Instrumente im Nachgang zusammengeführt, so dass das ET in einem besonders breiten Frequenzband ins All lauscht und mehr vom Gravitationswellen-Universum hört.

Der kosmische Entdecker

Cosmic Explorer wird derzeit als gewissermaßen zehnfach vergrößerte Version der LIGO-Detektoren geplant. Die zwei Arme des Detektors sollen 40 Kilometer lang sein und wie bei LIGO in einem rechten Winkel zueinander stehen. Im aktuellen Entwicklungskonzept ist zudem ein zweiter Standort mit 20 Kilometer langen Armen geplant. Wie bei LIGO, Virgo und LIGO India werden die Arme auf der Erdoberfläche liegen – durch Abdeckungen vor Umwelteinflüssen geschützt. Der Vorteil einer solchen Konstruktion ist, dass die Forschenden so auf ihren bisherigen Erfahrungen aufbauen können und der technische Aufwand des Tunnelbaus wegfällt. Trotzdem ist auch der oberirdische Bau eines solch großen Detektors herausfordernd, weil sich bei diesen Armlängen die Erdkrümmung deutlich bemerkbar macht. Durch den oberirdischen Bau lässt sich die Empfindlichkeit bei niedrigen Frequenzen außerdem nicht so stark steigern wie beim ET.

Künstlerische Darstellung des Cosmic Explorer. © Edward Anaya – 3D Künstler

Genauer und tiefer ins All lauschen

Beide Detektoren der dritten Generation haben durch die höhere Armlänge und die Verwendung neuer Technologie eine insgesamt erhöhte Empfindlichkeit für Gravitationswellen. Die Raumzeitwellen dehnen und stauchen den Raum, und je mehr Raum in den Armen gedehnt und gestaucht werden kann, um so stärker machen sich die Gravitationswellen bemerkbar. Gleichzeitig nehmen jedoch technische und grundlegende physikalische Rauschquellen, die sich mit den Auswirkungen der Gravitationswellen überlagern, nicht zu. In der Folge werden in den größeren Instrumenten mehr Details sichtbar und schwächere Wellen, die vorher vollkommen verborgen blieben, tauchen erstmals auf. Damit wächst die Rate, mit der Gravitationswellen empfangen werden. Während heute alle paar Tage ein Signal empfangen wird, wird die dritte Detektorgeneration praktisch ununterbrochen den Gravitationswellenklang des Universums hören.

Die feineren Details der Wellenform werden mehr über die Quellen, von denen die Welle ausgesendet wurde, offenbaren. Dies wird neue Informationen über das Verhalten der extrem dichten Materie in Neutronensternen liefern und die Verteilung der Verschmelzungsereignisse auf kosmischen Zeitskalen sowie neue kosmologische Untersuchungen ermöglichen.

Bestimmte Signale werden sich mit der nächsten Detektorgeneration fast aus dem gesamten Universum aufspüren lassen. Das ET soll Verschmelzungen stellarer Schwarzer Löcher nachweisen, deren Gravitationswellen bereits rund zweihundert Millionen Jahre nach dem Urknall abgestrahlt wurden. Cosmic Explorer mit leicht anderer frequenzabhängiger Empfindlichkeit wird die Signale verschmelzender Doppelneutronensterne aus einer ähnlich fernen Vergangenheit hören.

Ein Kreisdiagramm zeigt die Reichweiten unterschiedlicher Detektoren.
Wie weit entfernte Verschmelzungen von Doppelneutronensternen (links) und Paaren stellarer Schwarzer Löcher (von je 30 Sonnenmassen, rechts) können die zukünftigen Gravitationswellen-Detektoren aufspüren? O3 (hellblau) ist die optimale Reichweite der aktuellen LIGO-Virgo-Detektoren im dritten gemeinsamen Beobachtungslauf, A+ (dunkelblau) eine geplante Erweiterung von LIGO. CE (pink) zeigt die optimale Reichweite des Cosmic Explorer, ET (grün) die optimale Reichweite des Einstein-Teleskops. Die Detektoren der dritten Generation können insbesondere Verschmelzungsereignisse von Doppelneutronensternen, aber auch die von stellaren Schwarzen Löchern aus deutlich größeren Entfernungen als die heutigen Detektoren beobachten. © Evan Hall, Salvatore Vitale/MIT

Aufgrund der gesteigerten Empfindlichkeit bei niedrigen Frequenzen werden Detektoren der dritten Generation die Verschmelzungssignale mittelschwerer Schwarzer Löcher (mit 100 bis 10.000 Sonnenmassen) nachweisen. Aus diesen Beobachtungen erhoffen sich Forschende neue Erkenntnisse darüber, wie die noch massereicheren Schwarzen Löcher in den Zentren von Galaxien entstanden sind.

Herausforderungen der Technik

Um diese Beobachtungen mit der deutlich gesteigerten Empfindlichkeit zu ermöglichen, sind neben größeren Detektoranlagen aber auch weitere technische Verbesserungen erforderlich. Die gesteigerte Armlänge ist der direkte Weg zur höheren Empfindlichkeit, benötigt aber auch größere Vakuumsysteme und erhöhten Aufwand beim Bau der Anlage, insbesondere wenn diese unterirdisch angelegt werden soll. Weil mit längerer Laufstrecke der Strahldurchmesser der Laser zunimmt, braucht es außerdem größere Spiegel mit glatteren und gleichförmigeren Spiegelbeschichtungen.

Um das thermische Rauschen zu minimieren, sollen die Endspiegel auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt abgekühlt werden. Doch das geht mit erheblichen Herausforderungen einher. Die vom Laser in die Spiegel eingebrachte Wärme muss abgeführt werden, ohne zusätzliche Störungen zu verursachen. Das bisher verwendete Spezialglas verliert bei diesen niedrigen Temperaturen die guten mechanischen Eigenschaften, aufgrund derer es ausgewählt wurde. Neue Materialien wie kristallines Silizium oder Saphir sind als mögliche Lösungen in der Diskussion, doch müssen sie in ausreichender Größe (die Spiegel könnten rund 300 Kilogramm wiegen) und Qualität hergestellt werden – ein Feld aktiver Forschung. Auch die Herstellung entsprechender hochreflektiver Spiegelbeschichtungen ist eine große Herausforderung.

Die Laser für die dritte Detektorgeneration werden sich ebenfalls von denen der aktuellen Instrumente unterscheiden. Neben noch höheren Leistungen von vielen hundert Watt erfordern die neuen Spiegel- und Strahlteiler-Materialien das Ausweichen auf höhere Laserwellenlängen. Aktuell entwickeln und erforschen Wissenschaftler:innen die erforderlichen Lasersysteme.

Ein globales Netzwerk

Auch bei der dritten Generation gilt, dass nur ein internationales Netzwerk von Detektoren mit vergleichbarer Empfindlichkeit die Himmelsrichtung, aus der die Gravitationswellen kommen, mit hoher Präzision bestimmen kann. Und nur dann könnten andere astronomische Observatorien zuverlässig Folgebeobachtungen durchführen. Ein dritter Detektor neben dem ET und dem Cosmic Explorer auf der Südhalbkugel der Erde könnte ein solches Netzwerk komplettieren. In Australien laufen bereits erste Studien zur möglichen Umsetzung eines solchen Unterfangens.

Die Astronomie mit den Detektoren der dritten Generation hat das Potenzial, viele noch offene Fragen genauer zu untersuchen oder gar erstmals zu beantworten. An der Lösung der technisch-wissenschaftlichen Aufgaben, die diese neue Detektorgeneration mit sich bringt, wird derzeit geforscht. Bereits innerhalb weniger Jahre wird sich entscheiden, wohin die nächsten Schritte der Gravitationswellenastronomie führen werden.

Weitere Informationen

Kolophon
Benjamin Knispel

ist Astrophysiker und Pressereferent am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Hannover.

Zitierung

Zu zitieren als:
Benjamin Knispel, “Die Gravitationswellen-Detektoren der dritten Generation” in: Einstein Online Band 14 (2022), 1102