Glühende Scheiben: Wie Schwarze Löcher ihre Nachbarschaft zum Leuchten bringen

Wie der Umstand, dass Schwarze Löcher so effektiv dabei sind, Materie anzuziehen, zu einigen der spektakulärsten Leuchterscheinungen im Universum führt

Ein Artikel von Andreas Müller

Die Gravitation sorgt dafür, dass sich alle Massen gegenseitig anziehen. Genau das passiert auch bei der Akkretion – so nennen Astrophysiker den Prozess, bei dem ein massives Zentralobjekt Materie aus seiner Umgebung aufsammelt. Das Zentralobjekt wird dadurch noch massereicher und noch besser im Aufsammeln. Um zu verstehen, was da vor sich geht, ist es nützlich, sich zunächst eine allgemeinere Frage zu stellen: Was passiert allgemein, wenn Materie auf ein Zentralobjekt zu fällt?

Materie im freien Fall

Handelt es sich beim Zentralobjekt um einen soliden Himmelskörper, kann Materie direkt auf diesen Körper fallen, wo ihre Bewegung abrupt aufgehalten wird. Das wäre ein Beispiel eines „mechanischen Hindernisses“ – die Oberfläche des Zentralobjekts hindert die Materie am weiteren Fall, ebenso wie der Erdboden unter unseren Füßen uns daran hindert, in den Mittelpunkt der Erde zu fallen. Ist das Zentralobjekt andererseits ein Schwarzes Loch, kann die Materie direkt hineinfallen und hinter dem Ereignishorizont auf Nimmerwiedersehen verschwinden. In beiden Abläufen fliegt die Materie direkt auf das Zentralobjekt zu.

Das ist aber keinesfalls die einzige Möglichkeit – genauer gesagt, es ist eher die Ausnahme denn die Regel. Üblicherweise wird sich die Materie im Weltraum bereits in Bewegung befinden noch bevor der Gravitationseinfluss des Zentralobjekts ihre Bahn maßgeblich beeinflusst. Abgesehen von dem unwahrscheinlichen Spezialfall, dass diese ursprüngliche Bewegung die Materie bereits direkt auf das Zentralobjekts zu führt, wird zumindest ein Anteil der Bewegung seitwärts erfolgen. Ist der Seitwärtsanteil groß genug, fällt die Materie ganz einfach am Zentralobjekt vorbei.

Die fallende Materie kann dabei entweder am Zentralobjekt vorbeifliegen und auf Nimmerwiedersehen in die Tiefen des Alls entschwinden (ungebundene Bahn) oder aber das Zentralobjekt auf einer sich stetig wiederholenden Umlaufbahn umkreisen (gebundene Bahn). Das bekannteste Beispiel für letzteren Fall sind die Planeten, die in unserem Sonnensystem um die Sonne laufen.

Ein weiteres, freilich deutlich komplizierteres Beispiel für das Vorbeifallen zeigt die folgende Abbildung: Zu sehen ist ein Doppelsternsystem aus einem Riesenstern links und einem kompakten Begleiterstern rechts. Der Riesenstern ist so groß, dass für einen Teil seiner äußeren Hülle der Gravitationseinfluss des Begleiters stärker ist als der des Riesensterns selbst. Die betreffende Materie zieht der Begleiter zu sich herüber. Sie fällt aber nicht zentral auf den Begleiter, sondern hat genügend Seitwärts-Schwung, dass sich eine so genannte Akkretionsscheibe um den Begleitstern bildet – Materie, die um den Begleitstern umläuft:

 

Skizze akkretierender Doppelstern

Drehimpuls und das Schicksal der Scheibenmaterie

Das „schwungvolle Vorbeifallen“ beruht auf dem, was Physiker Drehimpulserhaltung nennen. Wenn ein Objekt unter dem Einfluss der Gravitation um eine zentrale Masse kreist, sagen die Gesetze der Mechanik klipp und klar: Für das kreisende Objekt bleibt das Produkt aus Abstand, Umlaufgeschwindigkeit und Masse – das ist per Definition der Drehimpuls – mit der Zeit unverändert. Ein umlaufender Planet kann nicht einfach seine Bahn ändern und geradewegs in die Sonne stürzen. Dann wäre sein Drehimpuls nämlich verbotenerweise direkt auf Null springen. (Näheres zur Drehimpulserhaltung bietet das Vertiefungsthema Was Eiskunstläufer, Planeten und Neutronensterne gemeinsam haben.)

Bei den Planeten sorgt die Drehimpulserhaltung für stabile Umlaufbahnen, und auch in der obigen Abbildung gilt: Der gezeigte Riesenstern rotiert und die Materie seiner Außenhülle bringt entsprechenden Drehimpuls mit. Dieser Drehimpuls bleibt erhalten und führt zu der Umlaufbahn der Teilchen, die auf den kompakten Begleiter zu fallen und die Akkretionsscheibe bilden.

Allerdings ist die Situation in der oben gezeigten Akkretionsscheibe komplizierter. Denn alles, was die Gesetze der Mechanik sagen, ist, dass sich die Gesamtsumme der Drehimpulse aller Materieteilchen in der Scheibe mit der Zeit nicht verändern darf. Es ist aber durchaus erlaubt, dass ein Teilchen Teile seines Drehimpulses an andere Teilchen abgibt. Dieser Vorgang heißt Drehimpulstransport und passiert beispielsweise, sobald es in der Akkretionsscheibe zu Turbulenzen kommt, wie man sie von strömenden Flüssigkeiten oder Gasen kennt. Am effizientesten wird Drehimpuls umverteilt, wenn die Materie in Form von elektrisch geladenem Plasma vorliegt und die verschiedenen Materieteilchen sich gegenseitig über schwache Magnetfelder beeinflussen. So kommt es zu einer Umverteilung von den Innenregionen in die Außenregionen der Scheibe, und der Materie am innersten Rand gelingt es, genügend Drehimpuls abzuführen, dass der Weg zum Fall auf das Zentralobjekt frei ist. So häuft sich immer mehr Masse auf dem Zentralobjekt an.

Leuchtende Scheiben

Besonders gute Materiesammler sind die kompaktesten Objekte im Kosmos, die Schwarzen Löcher. Sie sind perfekte „Raumzeitfallen“ – nichts, was hineinfällt, kann ihnen je wieder entkommen, noch nicht einmal Licht. Schwarze Löcher selbst sind somit tatsächlich so schwarz, wie ihr Name sagt, und damit für die Astronomen unsichtbar. Ganz anders, wenn Schwarze Löcher mit Material aus der Umgebung „gefüttert“ werden: dann können sie ihr Umfeld zur hellsten und spektakulärsten Leuchterscheinung im Kosmos machen!

Verantwortlich dafür sind verschiedene Mechanismen. Einer davon spielt immer eine Rolle: Die Erzeugung von Wärmestrahlung. Materie, die dem Gravitationseinfluss folgend Richtung Zentralobjekt fällt, wird dabei immer schneller und gewinnt so immer mehr Bewegungsenergie. Doch spätestens, wenn ein fallendes Materieteilchen in der Akkretionsscheibe angekommen ist, wird seine Bewegung gestört. Es stößt immer wieder mit benachbarten Teilchen zusammen. Zur geordneten Umlaufbewegung tritt ein ungeordnetes Durcheinanderfliegen, es kommt zu Fluktuationen und Verwirbelungen – die Materie in der Scheibe verhält sich wie eine turbulente Flüssigkeit. Ungeordnete Bewegung ist aber in der Physik gleichbedeutend mit Wärmebewegung: Die Materie in der Akkretionsscheibe heizt sich stark auf.

Wo Wärme ist, wird immer auch elektromagnetische Strahlung ausgesandt. Im Prinzip muss jeder Körper diese Wärmestrahlung abgeben, weil es keinen Körper mit Temperatur null gibt (mehr hierzu liefert das Vertiefungsthema Warum man Wärme sehen kann). Je heißer ein Körper ist, desto größer ist die Energie der ausgesandten Strahlung. Die Temperatur der Akkretionsscheibe ist dabei so hoch, dass sie sogar große Mengen an hochenergetischer Röntgenstrahlung aussendet. Die Höchsttemperatur in einer Akkretionsscheiben um ein supermassereiches Schwarzes Loch von hundert Millionen Sonnenmassen liegt bei etwa einer Million Kelvin; im Falle von stellaren Schwarzen Löchern können die heißesten Scheibenregionen sogar eine Temperatur von hundert Millionen Kelvin erreichen. Zum Vergleich: Die Kernregionen unserer Sonne erreichen Temperaturen von rund 15 Millionen Kelvin.

Das Ergebnis: Eine hocheffiziente Umsetzung von Gravitations- in Strahlungsenergie – rund 30 Mal effizienter als die Verschmelzung von Atomkernen (Kernfusion), die Sterne wie unsere Sonne zum Leuchten bringt! Damit ist nicht überraschend, dass besonders heftiges Aufsammeln von Umgebungsmaterial für das Strahlen der hellsten Objekte im Universum verantwortlich ist.

Leider ist es bisher keinem Astronomen gelungen, den Akkretionsstrom und das zentrale Schwarze Loch detailliert zu beobachten – dazu reicht das Auflösungsvermögen der Teleskope noch nicht aus. Die Umgebung Schwarzer Löcher lässt sich allerdings im Computer simulieren. Aus solchen Untersuchungen lässt sich eine Art „astronomisches Phantombild“ mit charakteristischen Eigenschaften der Spektren der Strahlung erstellen, die in der Umgebung Schwarzer Löcher erzeugt wird. Die Spektren enthalten direkte Spuren wichtiger Umgebungseigenschaften – ihre Gravitations-Rotverschiebung ist ein Maß für die herrschende Gravitation; systematische Dopplerverschiebungen bilden die fast lichtschnelle Bewegung der um das Loch kreisenden, leuchtenden Materie ab. Gesellt sich zu diesen Spektrumseigenschaften noch der Nachweis einer genügend hohen Masse des Zentralbereichs, ohne dass ein damit assoziiertes leuchtendes Objekt beobachtet wird, ist wahrscheinlich, dass man es mit einem Schwarzen Loch zu tun hat.

Objekte mit solchen Eigenschaften gibt es am Himmel tatsächlich – und Vorhersage und Beobachtung passen hervorragend zusammen. Akkretion auf Schwarze Löcher scheint sich tatsächlich in der Natur abzuspielen. (Um was für Objekte es sich handelt, wird im Vertiefungsthema Aktive Schwarze Löcher: Ultraheiße Leuchtfeuer im All erzählt.)

 

Weitere Informationen

Die relativistischen Grundkonzepte, die diesem Vertiefungsthema zugrundeliegen, werden in Einstein für Einsteiger erklärt, insbesondere im Abschnitt Schwarze Löcher & Co.

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Kolophon
Andreas Müller

ist Astrophysiker und Chefredakteur von Sterne und Weltraum.

Zitierung

Zu zitieren als:
Andreas Müller, “Glühende Scheiben: Wie Schwarze Löcher ihre Nachbarschaft zum Leuchten bringen” in: Einstein Online Band 02 (2006), 02-1105