Einstein und die Seifenblasen

Überraschende Querverbindung zwischen der Raumzeitgeometrie und Seifenblasen: geometrische Minimalisierungsprobleme

Ein Artikel von Bernhard List

Ein wohl jedem zumindest aus der Kindheit vertrautes Objekt sind die Seifenblasen:

Seifenblasen [© Daniele Levis Pelusi, unsplash / Redesign: Daniela Leitner für Einstein Online]

[© Daniele Levis Pelusi, unsplash]

Tatsächlich sind Seifenblasen auch mathematisch interessant. Von den Physikern wissen die Mathematiker, welche Kräfte auf eine Seifenblase wirken – Spannungskräfte zwischen Molekülen der Seifenhaut nämlich, die so wirken, dass die Oberfläche der Blase möglichst klein wird. Hinzu kommt, dass eine Blase ein konstantes Volumen hat.

Mathematik der Seifenblasenhaut

Mathematisch gesehen ist die Frage, wie die Oberfläche einer Seifenblase aussieht, damit ein so genanntes Minimierungsproblem (die Oberfläche soll so klein wie möglich sein) mit einer Nebenbedingung (das Volumen soll dasselbe bleiben). Dafür kennen die Mathematiker allgemeine Methoden, die zur so genannten Variationsrechnung gehören, und sie können eine Gleichung ableiten, der die gesuchten Oberflächen genügen müssen. Untersucht man diese Gleichungen, so lässt sich beweisen, dass die einzigen möglichen Lösungen im herkömmlichen Raum (genauer: im euklidischen Raum) die Sphären sind, also die Oberflächen von Kugeln. Das ist der mathematische Grund, warum Seifenblasen rund sind. Hier auf der Erde gilt diese Lösung freilich nur näherungsweise, denn beispielsweise der Effekt der Erdanziehungskraft ist in diesem Modell noch nicht berücksichtigt. Eine Seifenblase in einer Raumstation, fern aller Massen und ihrer Gravitationseinflüsse, müsste allerdings exakt rund sein.

Komplizierter wird das Problem, wenn wir ein Drahtgebilde nehmen und es in Seifenlauge tauchen – welche Form hat die Seifenhaut, die sich innerhalb des Drahts ausbildet?

Würfeldraht und Drahttetraeder mit Seifenblasen [© S. Aulig, Universität Paderborn]

Würfeldraht und Drahttetraeder mit Seifenblasen
[© S. Aulig, Universität Paderborn]

Plateau-Problem

Dies ist als das Plateau-Problem bekannt, nach dem belgischen Physiker Joseph Antoine Ferdinand Plateau. Mathematisch gesehen handelt es sich wieder um ein Minimierungsproblem, hier allerdings mit einer Randbedingung – die gesuchte Seifenhaut soll auf einem ganz bestimmten Drahtgebilde enden. Flächen, die dieses Problem lösen, werden Minimalflächen genannt – eines von vielen Beispielen zeigt das folgende Bild:

Minimalfläche [© GRAPE Minimal Surface Library / Redesign: Daniela Leitner für Einstein Online]

[© GRAPE Minimal Surface Library]

Und was hat das alles mit Einstein und seiner Theorie zu tun? Die Brücke schlägt die Mathematik: Die Struktur der Gleichungen, die von Minimalflächen oder Seifenblasen erfüllt werden, ist sehr ähnlich wie die Struktur der Einstein-Gleichungen, des Kernstücks der Allgemeinen Relativitätstheorie. Zwar gibt es auch Unterschiede – so sind die Raumzeiten der Allgemeinen Relativitätstheorie in sich verzerrte Räume, während die Minimalflächen verzerrt in einen höherdimensionalen Raum eingebettet sind. Aber es gibt starke Analogien zwischen den betreffenden Geometrien, und viele Methoden, Lösungen zu finden und allgemeine Gleichungseigenschaften zu untersuchen, lassen sich in beiden Problemstellungen verwenden. Erkenntnisse aus der Untersuchung der Minimalflächengleichung liefern wichtige Informationen zur Untersuchung von Lösungen der Einsteingleichungen, und umgekehrt. Wer eine besonders günstige Lösung des Seifenhautproblems gefunden hat, kann damit unter Umständen interessante Erkenntnisse über Modelluniversen der Einsteinschen Welt gewinnen. An Instituten wie dem Albert-Einstein-Institut beispielsweise gibt es dementsprechend Mathematiker, die an beiden scheinbar so unterschiedlichen Themen zugleich arbeiten – an abstrakten Universumsmodellen und an Fragestellungen aus der Welt der Seifenblasen.

Weitere Informationen

Die relativistischen Grundkonzepte, die diesem Vertiefungsthema zugrundeliegen, werden in Einstein für Einsteiger erklärt, insbesondere im Abschnitt Allgemeine Relativitätstheorie und im Abschnitt Schwarze Löcher & Co..

Verwandte Vertiefungsthemen auf einstein-online finden sich in den Sektionen Allgemeine Relativitätstheorie und Schwarze Löcher & Co..

Viele Beispiele für Minimalflächen bietet die

GRAPE Minimal Surface Library

Kolophon
Bernhard List

ist ehemaliges Mitglied der Arbeitsgruppe Geometrische Analysis und Gravitation am Albert-Einstein-Institut in Potsdam.

Zitierung

Zu zitieren als:
Bernhard List, “Einstein und die Seifenblasen” in: Einstein Online Band 01 (2005), 01-1114