Die Form des Raums

Die verschiedenen Möglichkeiten, die Einsteins Theorie für die Raumgeometrie unseres Universums zulässt

Ein Artikel von Markus Pössel

In dem dreidimensionalen Raum um uns herum gelten in guter Näherung die Regeln der Euklidischen Geometrie, wie sie auch in der Schule gelehrt werden. Beispielsweise beträgt die Summe aller Winkel in einem aus Geradenabschnitten gebildeten Dreieck immer 180 Grad, und Geraden, die parallel zueinander sind, schneiden sich nie.

Laut der Urknallmodelle, den auf der Allgemeinen Relativitätstheorie basierenden Modelle für Universen wie das unsrige, die im Großen und Ganzen homogen sind, ist das aber nicht die einzige Möglichkeit. Die Raumgeometrie hängt dort davon ab, wieviel Masse und Energie das Universum enthält, genauer: Von seiner Dichte. Da sich die Materie im Universum aufgrund der Expansionsbewegung laufend verdünnt, ist es wichtig, einen Bezugspunkt zu wählen, um Dichtewerte zu vergleichen. Die Kosmologen wählen dafür die Jetztzeit – dass sich dieser Zeitpunkt im Laufe der Forschungen um Jahrzehnte verschiebt, fällt angesichts eines Weltalters von einigen Milliarden Jahren nicht ins Gewicht. Unter diesen Voraussetzungen liefern die Urknallmodelle einen kritischen Dichtewert, und der bestimmt die Raumgeometrie wie folgt:

Hyperbolische Geometrie

Ist die heutige Dichte des Universums geringer als der kritische Wert, dann hat jeder Raumbereich unseres Universums eine sattelartige Raumgeometrie. Im folgenden Bild ist die analoge zweidimensionale Geometrie angedeutet:

Sattelförmige Raumgeometrie

In solch einem Raum ist die Winkelsumme von Dreiecken stets kleiner als 180 Grad, und geradestmögliche Linien (Geodäten), die in einer bestimmten Raumregion parallel sind, laufen, wenn man sie weiterverfolgt, auseinander. In der Sprache der Mathematik sagt man, solch ein Raum sei negativ gekrümmt.

Flache Geometrie

Ist die heutige Dichte des Universums dagegen gerade gleich dem kritischen Dichtewert, dann hat jeder Raumbereich unseres Universums die gewohnte Geometrie der Ebene, die in der folgenden Abbildung skizziert ist:

Ebene Raumgeometrie

In solch einem Raum ist die Winkelsumme von Dreiecken stets gleich als 180 Grad, und geradestmögliche Linien (in diesem Falle sind es tatsächlich Geraden), die in einer bestimmten Raumregion parallel sind, laufen, wenn man sie weiterverfolgt, in immer gleichem Abstand voneinander weiter. Von solch einem Raum sagen Mathematiker, er sei gar nicht gekrümmt oder, synonym, er sei flach.

Sphärische Geometrie

Zur dritten und letzten Möglichkeit: Ist die heutige Dichte des Universums größer als der kritische Wert, dann hat jeder Raumbereich unseres Universums eine kugelartige Geometrie. Ein zweidimensionales Anschauungsbeispiel zeigt die folgende Abbildung:

Kugelartige Raumgeometrie

In solch einem Raum ist die Winkelsumme von Dreiecken stets größer als 180 Grad, und geradestmögliche Linien, die in einer bestimmten Raumregion parallel sind können sich, wenn man sie weiterverfolgt, einander annähern und sich sogar schneiden. Das Ergebnis heißt unter Mathematikern ein positiv gekrümmter Raum.

Viele spannende Möglichkeiten für die Geometrie im Großen – allerdings nur theoretisch. Praktisch deuten die astronomischen Messungen darauf hin, dass unser Universum auch auf kosmologischen Größenskalen die gewohnte Schulgeometrie hat, und dass seine Dichte gerade dem kritischen Wert entspricht.

Weitere Informationen

Die relativistischen Grundkonzepte, die diesem Vertiefungsthema zugrundeliegen, werden in Einstein für Einsteiger erklärt, insbesondere im Abschnitt Kosmologie.

Wie sich die Raumgeometrie unseres Kosmos aus den Eigenschaften der kosmischen Hintergrundstrahlung ermitteln lässt, erzählt das Vertiefungsthema Kosmischer Schall und die Krümmung des Raums; weitere verwandte Vertiefungsthemen auf Einstein-Online finden sich in der Kategorie Kosmologie.

Kolophon
Markus Pössel

ist Astrophysiker am Max-Planck-Institut für Astronomie, Leiter des Hauses der Astronomie in Heidelberg und Initiator von Einstein Online.

Zitierung

Zu zitieren als:
Markus Pössel, “Die Form des Raums” in: Einstein Online Band 04 (2010), 01-1123