Aktive Schwarze Löcher: Ultraheiße Leuchtfeuer im All

Was Astronomen davon sehen, wenn Schwarze Löcher ihre Umgebung aufheizen und so zum Leuchten bringen

Ein Artikel von Andreas Müller

Die stellaren und die supermassereichen Schwarzen Löcher, mit denen Astrophysiker sich beschäftigen, sind für sich genommen so schwarz wie es ihr Name sagt, und damit für Teleskope unsichtbar. Dennoch können die dunklen Schwerkraftfallen ihre direkte Umgebung zu den spektakulärsten Leuchterscheinungen anregen, die es im ganzen Universum gibt. Voraussetzung ist, dass sie mit immer neuer Materie „gefüttert“ werden! Ein wichtiges Beispiel: Materie, die auf ein Schwarzes Loch zu fällt und dabei um das Loch herum eine Akkretionsscheibe bildet.

Akkretionsscheiben und -ströme

Ganz generell gilt: Alle Objekte senden Wärmestrahlung aus. Deren Eigenschaften und Energie hängen von der Temperatur eines Objektes ab, und die typische Temperatur in Akkretionsscheiben ist hoch genug, dass beträchtliche Mengen hochenergetischer Röntgenstrahlung ins All gesendet werden. (Weitere Informationen bietet das Vertiefungsthema Glühende Scheiben: Wie Schwarze Löcher ihre Nachbarschaft zum Leuchten bringen.) Im Falle Schwarzer Löcher hängt die Höchsttemperatur in der Akkretionsscheibe von der Masse des zentralen Schwarzen Loches ab: Je größer die Masse, desto geringer die Höchsttemperatur. Um stellare Schwarze Löcher bilden sich daher heißere Akkretionsscheiben als um supermassereiche Schwarze Löcher.

Neben der Wärmestrahlung entstehen in der unmittelbaren Umgebung Schwarzer Löcher noch weitere Strahlungsformen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang vor allem ein Plasmastrom, der sich an den inneren Rand der Akkretionsscheibe anschließt und in dem die Materie auf das Schwarze Loch zu fällt. Unter Astrophysikern heißt er kurz ADAF, für „advektionsdominierter Akkretionfluss“. Er erreicht Temperaturen, die noch hundert- bis tausendmal höher sind als in den heißesten Partien der Scheibe, und umhüllt das Schwarze Loch in einer schlauchartigen Form. Die folgende Abbildung zeigt einen schematischen Querschnitt durch Scheibe, Plasmastrom und Schwarzes Loch:

Schwarzes Loch / innerer Akkretionsstrom / Akkretionsscheibe [Bild: Andreas Müller, MPE / Redesign: Daniela Leitner]

[Bild: Andreas Müller, MPE / Redesign: Daniela Leitner]

Akkretionsscheibe und heißer Plasmastrom strahlen beide Wärmestrahlung ab. Aber nur die dichte Scheibe kann dadurch effizient gekühlt werden. Der innere, ausgedünnte Akkretionsstrom strahlt die Wärme nicht ab, sondern speichert sie und erreicht dadurch noch deutlich höhere Temperaturen. Das heiße Gas dieses Plasmastroms ist dünn genug, um im Bereich optischer Strahlung nahezu durchsichtig zu sein. Dennoch kommt es zu Streuprozessen, bei denen Lichtteilchen der Umgebungsstrahlung (aus der Wärmestrahlung des Akkretionsflusses und sogar aus der kosmischen Hintergrundstrahlung) von den Elektronen des Plasmas absorbiert und wieder abgestrahlt werden. Die niederenergetische Umgebungsstrahlung nimmt in solchen Streuprozessen beachtliche Energiemengen von den Elektronen auf und wird zu noch hochenergetischerer Röntgen- oder sogar zu Gammastrahlung.

Zusammengenommen bescheren diese Mechanismen – Wärmestrahlung und Gammastrahlen-Erzeugung im Plasmastrom – den Astronomen sehr helle Himmelsobjekte. Entsprechend der beiden unterschiedlichen Massendomänen der Schwarzen Löcher – stellare Löcher einerseits, supermassereiche andererseits – lassen sich diese Himmelsobjekte in zwei Klassen einteilen: Röntgendoppelsterne und aktive Galaxienkerne.

Röntgendoppelsterne

Zunächst zu den Röntgendoppelsternen, Doppelsternsysteme, in denen sich ein normaler Stern und ein kompaktes Objekt umkreisen: Ein prominentes Beispiel ist die hellste Röntgenquelle im Sternbild Schwan, Cygnus X-1. Das folgende Bild zeigt Daten, die Ende 2002 mit dem INTEGRAL-Satelliten der ESA aufgenommen wurden:

[Bild: ESA/INTEGRAL]

[Bild: ESA/INTEGRAL]

Es handelt sich um eine Falschfarbenaufnahme. Die Farben geben die Anzahl der im Beobachtungszeitraum von rund einer Stunde aufgefangenen Gammaphotonen wieder (mit anderen Worten: wie viele Lichtteilchen oder Photonen der Gammastrahlung den Detektor im Beobachtungszeitraum erreicht haben). Sie zeigen also so etwas wie die Gammastrahlenhelligkeit der entsprechenden Himmelsregion. Der Schlüssel am unteren Bildrand gibt an, wie Photonenzahl und Farbe zusammenhängen. Gammastrahlen-Erzeugung im Plasmastrom in unmittelbarer Nähe des Schwarzen Loches macht Cygnus X-1 zu einer alles überstrahlende Gammastrahlenquelle, deutlich sichtbar in der Mitte des Bildes. (Für astronomisch versierte Leser: Die Rasterlinien auf dem Bild liegen jeweils um fünf Winkelgrad Deklination oder Rektaszension auseinander.)

Beim kompakten Objekt eines Röntgendoppelsterns muss es sich nicht notwendigerweise um ein Schwarzes Loch handeln – es könnte auch ein Neutronenstern oder ein Weißer Zwerg sein. Wenn es den Astronomen gelingt, die Masse des Objekts zu bestimmen und diese etwa drei Sonnenmassen überschreitet, können sie allerdings sicher sein, dass sie einen guten Kandidaten für ein Schwarzes Loch aufgespürt haben – genauer: für ein stellares Schwarzes Loch, das einige Male so viel Masse besitzt wie unsere Sonne. Das stellare Schwarze Loch in Cygnus X-1 hat etwa zehn Sonnenmassen.

Was da in die Akkretionsscheibe des kompakten Begleiters gezogen wird, ist Materie des normalen Sterns – Astrophysiker sprechen auch vom Wirtsstern, der das Loch füttert. Die Scheibe wird in unmittelbarer Nähe des Schwarzen Lochs extrem heiß, etwa 100 Millionen Grad – rund zehnmal heißer als das Zentrum der Sonne! Erreicht Materie solch hohe Temperaturen, kommt es zwangsläufig zu Strahlungsprozessen extrem hoher Energie, die bevorzugt im Bereich der Röntgenstrahlung beobachtbar sind. Die hellsten Röntgendoppelsterne mit Schwarzem Loch senden alleine im Röntgenbereich eine Million Mal mehr Strahlung aus, als die Sonne im gesamten elektromagnetischen Spektrum!

Aktive Galaxienkerne

Die zweite Klasse von Objekten tummelt sich auf ungleich gigantischeren Größenskalen. In ihnen stecken supermassereiche Schwarze Löcher, die so viel Masse besitzen wie einige Millionen bis Milliarden Sonnen. Die Astronomen vermuten solche Löcher in den Zentren nahezu jeder Galaxie. Einige supermassereiche Schwarze Löcher sind eher ruhig und inaktiv. Zu ihnen zählt das uns nächste gigantische Loch, das sich im Mittelpunkt unserer Heimatgalaxie befindet (siehe das Vertiefungsthema Im Herzen der Milchstraße). In der Umgebung anderer supermassereicher Schwarzer Löcher dagegen führt einfallende Materie zu spektakulärer Energiefreisetzung. Das Ergebnis heißt aktiver Galaxienkern, nach der englischen Bezeichnung „active galactic nucleus“ zu AGN abgekürzt. Die spektakulärsten Vertreter der AGN sind die Quasare und die Blazare.

Die nachfolgende Abbildung zeigt etwa hundert solcher aktiven Galaxienkerne, aufgenommen in einem Himmelsausschnitt namens Lockman Hole. Es handelt sich um ein Falschfarbenbild, bei dem die Farben für Röntgenstrahlung unterschiedlicher Energie stehen: rot für vergleichsweise niederenergetische über grün für mittlere Energien bis hin zu blau für höherenergetische Röntgenstrahlung. Aufgenommen wurden die Daten mit dem europäischen Röntgenteleskop XMM-Newton:

Aktive Galaxienkerne / Falschfarbenbild der Röntgenstrahlung

[Bild: ESA/XMM-Newton, Hasinger et al.]

Die Lichtflecke in diesem Bild sind die aktiven Kerne von Galaxien, deren Licht fast 12 Milliarden Jahre lang bis zu uns unterwegs war (kosmologische Rotverschiebung von z = 3,5). In jedem davon dürfte mindestens ein supermassereiches Schwarzes Loch sitzen!

Die Erzeugung des hellen Leuchtens funktioniert bei aktiven Galaxienkernen sehr ähnlich wie bei Röntgendoppelsternen: Die superschweren Löcher zapfen das Materiereservoir ihrer unmittelbaren galaktischen Umgebung an. Interstellares Gas und Staub der Wirtsgalaxie werden angezogen und sammeln sich in einer Akkretionsscheibe. Kurz vor Erreichen des Schwarzen Lochs erfolgt eine beträchtliche Aufheizung, und die Materie leuchtet noch einmal extrem hell auf, bevor sie auf Nimmerwiedersehen im Schwarzen Loch verschwindet. Allerdings sind die Größenordnungen noch viel gewaltiger als bei Doppelsternen: Die leuchtkräftigsten aktiven Galaxienkerne können über hundert Billionen Mal heller strahlen als unsere Sonne! Allerdings wird die Akkretionsscheibe nicht ganz so heiß wie im Falle der Röntgendoppelsterne – das Strahlungsmaximum liegt bei aktiven Galaxienkernen nicht im Röntgenbereich, sondern im Ultravioletten (Astronomen nennen dieses Maximum „big blue bump“, in etwa „großer blauer Buckel“).

Langbelichtete Aufnahmen des Himmels – so genannte Deep Fields – wie das gerade gezeigte Foto nutzen die Astronomen, um etwas über die langfristige Entwicklung der Galaxien und superschweren Schwarzen Löcher zu erfahren. Aus der Analyse von Deep Fields, die in unterschiedlichen Wellenlängenbereichen des Lichts gemacht werden, versprechen sich die Forscher zu verstehen, wie Schwarze Löcher wachsen und was zuerst die kosmische Bühne betreten hat: Schwarze Löcher oder Galaxien. Am Ende dieser Erkenntnisse steht das Wissen über unsere eigene Herkunft.

 

Weitere Informationen

Die relativistischen Grundkonzepte, die diesem Vertiefungsthema zugrunde liegen, werden in Einstein für Einsteiger erklärt, insbesondere im Abschnitt Schwarze Löcher & Co.

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Kolophon
Andreas Müller

ist Astrophysiker und Chefredakteur von Sterne und Weltraum.

Zitierung

Zu zitieren als:
Andreas Müller, “Aktive Schwarze Löcher: Ultraheiße Leuchtfeuer im All” in: Einstein Online Band 02 (2006), 02-1106