Im Herzen der Milchstraße

Informationen zu dem uns nächsten supermassiven Schwarzen Loch – dem Zentralobjekt unserer eigenen Galaxis

Ein Artikel von Markus Pössel

Nach dem heutigen Wissen der Astrophysiker sind supermassive Schwarze Löcher, die Millionen Sonnenmassen in sich vereinigen, in unserem Universum allgegenwärtig: Sie dürften sich in den Zentren der allermeisten Galaxien finden. In aktiven Galaxienkernen sind sie für spektakuläre Phänomene wie die Jets von Radiogalaxien mit ihren gigantischen Radioblasen verantwortlich, aber auch im Herzen gemäßigter Galaxien wie unserer Milchstraße schlummert ein Massemonster.

Unser eigenes Schwarzes Loch

Dass wir in unserer Heimatgalaxie ein supermassives Schwarzes Loch so zusagen direkt vor der Haustür haben, nur rund 25000 Lichtjahre von uns entfernt, ist vielleicht ein wenig unheimlich, aber aus astronomischer Sicht ein wahrer Segen. Die direkteste Möglichkeit, nachzuweisen, dass es sich bei einem Beobachtungsobjekt um ein Schwarzes Loch handelt, besteht in der Bestimmung seiner Masse und der Abschätzung seiner Ausdehnung. Die Massenbestimmung kann für astronomische Objekte recht schwierig sein; gute Ausgangsvoraussetzungen sind allerdings immer dann gegeben, wenn sich mehrere Objekte unter gegenseitigem Schwerkrafteinfluss umeinander bewegen. Für solche Bewegungen nämlich sagen die Gesetze der Himmelsmechanik Zusammenhänge zwischen den Massen der beteiligten Himmelskörpern und den Einzelheiten ihrer Bahnbewegung vorher. Eine hinreichend vollständige Kenntnis der Umlaufbahnen lässt daher Rückschlüsse auf die Massen zu.

Die Verfolgung von Sternbewegungen

Im Falle des zentralen Schwarzen Lochs unserer Milchstraße haben Astronomen über Jahre hinweg sehr genau vermessen, wie sich die Sterne in der unmittelbaren Zentrumsumgebung bewegen. Die folgende Abbildung zeigt eine Simulation, die auf Beobachtungen beruht, die Forscher des Max-Planck-Instituts für Extraterrestrische Physik über sechs Jahre hinweg mit dem New Technology Telescope der Europäischen Südsternwarte ESO gemacht haben.

[Simulation: Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik / Redesign: Daniela Leitner]

[Simulation: Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik]


Zu sehen ist eine Region von nur wenigen Lichttagen rund um das Zentrum unserer Milchstraße, das von der Erde aus gesehen im Sternbild Schütze (Sagittarius) liegt und, wie erwähnt, rund 25000 Lichtjahre von uns entfernt ist. Das blaue Kreuz in der Mitte markiert die Position von „Sagittarius A*“, einer kompakten Radioquelle. Die Astronomen haben ein detailliertes dreidimensionales Modell entwickelt, um die Bewegung der in der Abbildung sichtbaren Sterne zu erklären; die in dieser Weise rekonstruierten Bahnkurven sind violett eingezeichnet.

Aus den neuesten Rechnungen, denen mittlerweile schon 10 Jahre an hochauflösenden Beobachtungen von rund drei Dutzend individuellen sternen rund um Sagittarius A* zugrundeliegen, aufgenommen von mehreren unabhängigen Beobachtergruppen, folgt, dass dieses Objekt die Masse von 3,3 Millionen Sonnen in sich vereinigt. Aus den Bahndaten eines der Sterne ergab sich zugleich eine sehr genaue obere Grenze für die Ausdehnung des Objekts – um in die Umlaufbahn des Sterns zu passen, darf der Radius von Sagittarius A* nicht größer als 17 Lichtstunden sein. Neuere Radioastronomische Messungen haben sogar noch eine kleinere Ausdehnung von rund 20 Lichtminuten ergeben, vergleichbar dem Durchmesser der Bahn unserer Erde um die Sonne.

Masse und Ausdehnung führen zu einer mittleren Dichte des Objekts, die nur auf eine Art zu erklären ist: Es handelt sich um ein Schwarzes Loch im Zentrum unserer eigenen Galaxis.

Für seine Entdeckung erhielten Andrea Ghez (University of California in Los Angeles, USA) und Reinhard Genzel (Max Planck Institut für Extraterrestrische Physik in Garching, Deutschland, und University of California in Berkeley, USA) 2020 den Nobelpreis für Physik.

Weitere Informationen

Die relativistischen Grundkonzepte, die diesem Vertiefungsthema zugrundeliegen, werden in Einstein für Einsteiger erklärt, insbesondere im Abschnitt Schwarze Löcher & Co.

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Kolophon
Markus Pössel

ist Astrophysiker am Max-Planck-Institut für Astronomie, Leiter des Hauses der Astronomie in Heidelberg und Initiator von Einstein Online.

Zitierung

Zu zitieren als:
Markus Pössel, “Im Herzen der Milchstraße” in: Einstein Online Band 01 (2005), 01-1122