Lichtablenkung durch Gravitation

Informationen zu einer der grundlegenden Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie: Der Lichtablenkung im Gravitationsfeld

Ein Artikel von Steven S. Shapiro und Irwin I. Shapiro

Theorien über die Ablenkung von Licht durch Masse gibt es spätestens seit dem Ende des 18. Jahrhunderts. Zu jener Zeit argumentierte John Michell, ein englischer Geistlicher und Naturphilosoph, dass nicht einmal Licht imstande wäre, von der Sonnenoberfläche zu entkommen, besäße die Sonne nur eine genügend große Masse. Isaac Newton, dem wir die mathematische Beschreibung der Gravitationskraft verdanken, scheint der Frage nach dem Einfluss von Masse auf den Verlauf von Lichtstrahlen dagegen nur eine kurze Bemerkung am Ende seiner Abhandlung seiner im Jahre 1704 veröffentlichten Abhandlung „Opticks“ gewidmet zu haben, mit der Aussage, Lichtteilchen würden durch die Gravitation wohl in derselben Weise beeinflusst wie herkömmliche Materie.

Die ersten Berechnungen dazu, wie Licht von einer Masse abgelenkt wird, veröffentlichte im Jahre 1801 der deutsche Astronom Johann Georg von Soldner. Soldner war zu dem Ergebnis gekommen, dass Lichtstrahlen eines fernen Sterns, die am Sonnenrand vorbeistreichen, um einen Winkel von 0.9 Bogensekunden – rund ein Viertel eines Tausendstel Winkelgrades – abgelenkt werden sollten. Das ist der gleiche Winkel, unter dem eine CD erscheint, wenn man sie aus rund 30 Kilometer Entfernung betrachtet. Grundlage von Soldners Rechnungen waren Newtons Gesetze der klassischen Mechanik und der Gravitation, sowie die Annahme, dass sich Licht so verhält wie schnell bewegte Teilchen. Soweit wir wissen, haben weder Soldner noch seine Kollegen versucht, diese Vorhersage zu überprüfen, und das mit gutem Grund: Ein solcher Versuch hätte weit jenseits des Leistungsvermögens der astronomischen Instrumente des 19. Jahrhunderts gelegen.

Lichtablenkung in der Allgemeinen Relativitätstheorie

Über ein Jahrhundert später, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, entwickelte Einstein seine Allgemeine Relativitätstheorie. Einstein berechnete, dass auch seine Theorie eine Lichtablenkung am Sonnenrand vorhersagte, und zwar um das Doppelte des Newtonschen Wertes.

Die folgende Abbildung zeigt die Ablenkung von Lichtstrahlen, die in unmittelbarer Nähe einer Massekugel entlanglaufen. Damit der Effekt in der Abbildung überhaupt zu sehen ist, hat die Kugel die gleiche Masse wie die Sonne, aber einen fünftausendmal kleineren Durchmesser (und damit eine 125 Milliarden größere Dichte).

Lichtablenkung nahe einer Massekugel: Waagerechte Lichtstrahlen laufen an einer Kugel vorbei und werden nahe/hinter der Kugel umso weiter nach innen gebogen, je naeher sie der Kugel sind

Nach der Allgemeinen Relativitätstheorie würde ein von links kommender Lichtstrahl so nach innen gebogen, dass die Richtung, aus der das Licht den rechts befindlichen Beobachter erreicht, um einen bestimmten Winkel (den Ablenkungswinkel α, siehe die Abbildung unten) von der ursprünglichen Richtung des Lichts abweichen würde. Die Größe des Ablenkungswinkel ist proportional zum Kehrwert der kleinsten Entfernung (d) vom Lichtstrahl zum Mittelpunkt der Massekugel:

Lichtablenkung: Definition von α und d

Die folgende Abbildung zeigt, wie α sich in Abhängigkeit von d verändert:

Ablenkungswinkel alpha als Funktion des Minimalabstandes d des Lichtstrahls zum Kugelmittelpunkt

Die gelbe Fläche in der Mitte zeigt die räumliche Ausdehnung der Massenkugel an. Die Kurven links und rechts davon zeigen die Abhängigkeit des Ablenkungswinkel α von der Entfernung d. Der Ablenkungswinkel ist dort am größten, wo das Licht der Masse am nächsten kommt, und nimmt mit wachsendem Abstand ab. Für die Sonne ergibt sich eine ähnliche Kurve; allerdings ist der vorhergesagte Wert α für Lichtstrahlen, die direkt am Sonnenrand entlang laufen, fünftausend Mal kleiner als für die hier gezeigte Massenkugel.

Wenn Sterne sich verschieben

Ein Beobachter auf der Erde kann die Ablenkung von Licht eines (naturgemäß weit entfernten) Sterns durch die Sonne daran nachweisen, wie sich die Position des betreffenden Sterns am Himmel im Laufe eines Jahres verändert. Die folgende Animation zeigt links einen Stern, rechts einen Beobachter, sowie die Veränderung der Einfallsrichtung des Lichts bei Lichtablenkung durch eine dazwischen liegende Masse:

Lichtablenkung und Beobachter

Der Bildausschnitt unten rechts zeigt in Detailansicht, wie die Lichtstrahlen das Auge des Beobachters erreichen. Ohne die Masse läuft das Licht entlang einer geraden Linie vom Stern zum Beobachter. In Anwesenheit der Masse ist der Lichtstrahl verbogen, das Licht erreicht den Beobachter nun aus einer etwas anderen Richtung, und damit scheint der Stern für den Beobachter nunmehr an einer etwas anderen Stelle der Himmelskugel zu stehen.

Solche Positionsveränderungen aufgrund der Ablenkung von Sternenlicht in Sonnennähe sollte ein mit entsprechenden optischen Geräten ausgerüsteter Beobachter nachweisen können – obwohl die Verschiebung sehr viel kleiner ist als in der obigen Animation. Allerdings hellt das Sonnenlicht die Erdatmosophäre unter normalen Bedingungen soweit auf, dass es unmöglich ist, mit einem optischen Teleskop von der Erde aus sonnennahe Sterne zu beobachten. Für die ersten Beobachtungen, anhand derer sich Einsteins Vorhersagen prüfen ließen, warteten die beteiligten Astronomen daher auf eine Sonnenfinsternis, bei der sich der Mond definitionsgemäß so zwischen Erde und Sonne schiebt, dass bestimmte Regionen der Erde nicht mehr vom Sonnenlicht erreicht werden (und es somit auch zu keinerlei Aufhellung der Erdatmosphäre kommt).

Messungen der Lichtablenkung

Der erste erfolgreiche Versuch, die gravitationsbedingte Lichtablenkung zu messen, fiel in das Jahr 1919. Die Royal Astronomical Society und die Royal Society in Großbritannien hatten dazu zwei Expeditionen organisiert und finanziert. Jede der beiden Gruppen fertigte während der Sonnenfinsternis im Mai 1919 photographische Aufnahmen der Sonnenumgebung an und verglich die Positionen der darauf erkennbaren Sterne mit Aufnahmen des gleichen Himmelsabschnitts, die im Juli 1919 angefertigt wurden, als die Sonne weitergewandert war und sich aus der betreffenden Himmelsregion entfernt hatte. Die Auswertung zeigte, dass das Sternenlicht tatsächlich abgelenkt worden war, und zwar in einem Maße, die mit den Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie, nicht aber mit den auf der Newtonschen Physik basierenden Rechnungen vereinbar war. Dieses Ergebnis erregte großes Aufsehen, machte Einstein über Nacht weltbekannt und führte dazu, dass er der bislang einzige Wissenschaftler ist, für den jemals eine Konfetti-Parade („ticker-tape parade“) auf dem New Yorker Broadway abgehalten wurde.

Bei Wiederholungen solcher Sonnenfinsternis-Beobachtungen im Laufe des folgenden halben Jahrhunderts gelang es den Astronomen freilich nicht, die Genauigkeit um mehr als einen Faktor 2 zu steigern. Die Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie konnten so mit einer Genauigkeit von rund zehn Prozent bestätigt werden. Ein Durchbruch gelang erst 1967, mit der Erkenntnis, dass gleichzeitige Beobachtungen mit mehreren Radioteleskopen (insbesondere im Rahmen der so genannten „Very Long Baseline Interferometry“) es möglich machen, die Lichtablenkung deutlich genauer zu messen.

Dass Licht von Masse abgelenkt wird ermöglicht nicht nur hochpräzise Tests der Allgemeinen Relativitätstheorie, sondern hat sich auch als ein für die astronomische Forschung äußerst gewinnbringender Umstand erwiesen. Massen, die als Gravitationslinse wirken, gehören inzwischen zu den Standardwerkzeugen der Astronomie. Sie helfen den Astronomen, die Massen kosmischer Objekte und die Struktur und Ausdehnung des Universums als Ganzes zu bestimmen. Mit ihrem Vergrößerungseffekt lassen sich die Gravitationslinsen außerdem nutzen, um die Eigenschaften weit entfernter Galaxien und Quasare zu bestimmen und dazu, Planeten entfernter Sterne nachzuweisen.

Weitere Informationen

Mehr zu den relativistischen Ideen, die diesem Vertiefungsthema zugrundeliegen, bietet unsere Einführung Einstein für Einsteiger, insbesondere das Kapitel Allgemeine Relativitätstheorie.

Mehr zur Lichtablenkung bietet das Vertiefungsthema Vom Äquivalenzprinzip zur Lichtablenkung. Weitere verwandte Vertiefungsthemen finden sich in der Kategorie Allgemeine Relativitätstheorie.

Kolophon
Steven Shapiro

Steven Shapiro ist Physikprofessor an der Lesley University in Cambridge (USA).

Irwin Shapiro

ist Timken-Professor an der Universität Harvard und Senior Scientist der Smithsonian Institution.

Zitierung

Zu zitieren als:
Steven S. Shapiro und Irwin I. Shapiro, “Lichtablenkung durch Gravitation” in: Einstein Online Band 04 (2010), 03-1105