Von der Ordnung zur Geometrie: Kausalmengen

Ein Überblick über den so genannten Kausalmengen-Ansatz zur Formulierung einer Theorie der Quantengravitation

Ein Artikel von Rafael Sorkin

Unter den verschiedenen Ansätzen für eine Theorie der Quantengravitation zeichnet sich das Kausalmengen-Modell zum einen durch seine logische Einfachheit aus, zum anderen durch den Umstand, dass es von vornherein von der Vorstellung einer aus endlich großen Bausteinen zusammengesetzten Raumzeit ausgeht.

Aus den einfachen Voraussetzungen hat sich im Rahmen der Weiterentwicklung des Modells ein mathematischer Formalismus (die „Dynamik sequenziellen Wachstums“) ergeben, in dem sich die Zeit als aktiver Prozess des Entstehens und Werdens, der stetigen Geburt neuer Elemente der Kausalmenge erweist.

Die einfache Struktur des Kausalmengen-Modells hat dazu geführt, dass bereits eine Reihe einfacher Ergebnisse abgeleitet werden konnte, obwohl die Entwicklung der Theorie noch lange nicht abgeschlossen ist. Die wohl interessanteste Vorhersage betrifft Fluktuationen des Werts der so genannten kosmologischen Konstanten, die im Einklang mit späteren astronomischen Beobachtungen stehen.

Von Zeno zur Kausalmenge

Die grundlegenden Ideen hinter dem Begriff einer Kausalmenge können auf eine lange Geschichte zurückblicken. Die Idee, dass der Raum im mathematischen Sinne diskret ist (Näheres zu diesem Begriff siehe unten) geht mindestens bis zu Zeno zurück. Im 19. Jahrhundert ist sie beispielsweise von Bernhard Riemann aufgegriffen worden. Riemann schrieb 1854 in seiner Habilitationsschrift, mit der er die Grundlagen der Geometrie gekrümmter Räume legte:

„Die Frage über die Gültigkeit der Voraussetzungen der Geometrie im Unendlichkleinen hängt zusammen mit der Frage nach dem innern Grunde der Massverhältnisse des Raumes. Bei dieser Frage, welche wohl noch zur Lehre vom Raume gerechnet werden darf, kommt die obige Bemerkung zur Anwendung, dass bei einer discreten Mannigfaltigkeit das Princip der Massverhältnisse schon in dem Begriffe dieser Mannigfaltigkeit enthalten ist, bei einer stetigen aber anders woher hinzukommen muss. Es muss also entweder das dem Raume zu Grunde liegende Wirkliche eine discrete Mannigfaltigkeit bilden, oder der Grund der Massverhältnisse ausserhalb […] gesucht werden.“

Riemann fragt hier danach, welche Struktur eines Raumes es überhaupt möglich macht, über messbare Eigenschaften wie Abstände, Flächeninhalte, Winkel und Volumina (die „Massverhältnisse“) zu reden, und er stellt die beiden Fälle eines Kontinuums („einer stetigen Mannigfaltigkeit“) und eines diskreten Raums einander gegenüber. In einem Kontinuum (etwa dem Raum der Euklidischen Geometrie) liegen zwischen je zwei Punkten unendlich viele weitere, und jedes Volumen kann in kleinere und kleinere Volumina zerteilt werden, ohne dass der Teilungsprozess je an ein natürliches Ende gelangt. Bei einem diskreten Raum dagegen besteht jede abgeschlossene Region aus einer endlich großen Anzahl von Elementen oder „Bausteinen“. Zerlegt man solch eine Region in immer kleinere Teilregionen, ist nach endlich vielen Schritten die kleinste Teilstruktur erreicht. Wie Riemann anmerkt, enthält ein solcher diskreter Raum automatisch Informationen über seine Maßverhältnisse. Das ist einfach einzusehen: Beispielsweise können wir so etwas wie ein Volumen einer Raumregion bestimmen, indem wir einfach die Anzahl der Elemente ermitteln, aus denen sie zusammengesetzt ist. Für ein Kontinuum, einen stetigen Raum dagegen gibt es keine Möglichkeit, Elemente nachzuzählen (die Antwort wäre für jede Raumregion Unendlich) und die Herkunft der Maßverhältnisse muss auf andere Weise erklärt werden.

Ein Jahrhundert später äußerte Einstein, der Riemanns Begriff des stetigen, gekrümmten Raums zur Formulierung der Allgemeinen Relativitätstheorie verwandt hatte (dort freilich in Form einer Raumzeit und nicht nur eines Raums), ähnliche Zweifel, ob sich die Raumzeit wirklich auf allen Größenskalen als Kontinuum beschreiben lassen würde:

„Unter Diskontinuum-Theorie verstehe ich eine solche, in der es keine Differentialquotienten gibt. In einer solchen Theorie kann es nicht Raum und Zeit geben, sondern nur Zahlen […]. Besonders schwer wird es sein, etwas wie eine raum-zeitliche Quasi-Ordnung aus einem solchen Schema abzuleiten. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das axiomatische Gerippe einer solchen Physik aussehen könnte […]. Aber ich halte es durchaus für möglich, dass die Entwicklung dahin führen wird […].“ [ Quellenangabe]

Was Einstein hier „Diskontinuum“ nennt war bei Riemann die „diskrete Mannigfaltigkeit“.

Diese Zitate enthalten bereits alle Ingredienzien des Kausalmengen-Ansatzes: Die Annahmen, dass der Begriff der Raumzeit nicht die tiefere Wirklichkeit widerspiegelt, dass die darunterliegende Struktur ein diskreter Raum sein könnte, dass die diesem diskreten Raum innewohnende Struktur die Maßverhältnisse bestimmt, und dass es wichtig ist, aus den tieferliegenden Strukturen die zeitliche Ordnung innerhalb der Raumzeit abzuleiten. Wenn es sich bei der tieferliegenden Struktur um eine Kausalmenge handelt, ist Letzteres trotz Einsteins Bedenken sehr einfach. In eine Kausalmenge ist solch eine Ordnung bereits eingebaut. In gewisser Weise ist die Kausalmenge nichts weiter als eine zeitliche Ordnung.

Etwas genauer gesagt ist eine Kausalmenge eine Menge mit abzählbar vielen Elementen – den Grundbausteinen der Raumzeit, anders ausgedrückt: den „Elementarereignissen„. Die punktartigen Ereignisse einer herkömmlichen Raumzeit sind in ein ausgefeiltes Beziehungsgeflecht eingebettet, das Informationen über Nachbarschaftsverhältnisse, Abstände und Zeiten umfasst. Im Gegensatz dazu ist das einzige, was wir über den Zusammenhang zwischen den Elementarereignissen einer Kausalmenge wissen, das, was Mathematiker eine Halbordnung oder Quasi-Ordnung nennen: Für einige Paare von Elementen x,y (nicht für alle!) haben wir die Information, dass x vor y kommt oder, in anderen Fällen, dass x nach y kommt. Physikalisch kann man sich diese Ordnung als mikroskopische Entsprechung der Begriffe des „vorher“ und „danach“ vorstellen, wie wir sie aus unserer makroskopischen Welt kennen: Für einige Ereignisse wissen wir, dass sie nach gewissen anderen Ereignissen stattfinden. (Das Adjektiv „kausal“ kommt ins Spiel, da die Aussage, ein Ereignis A finde nach einem anderen Ereignis B statt, gleichwertig mit der Aussage sein soll, dass das Ereignis B im Prinzip eine Ursache, lateinisch causa, des Ereignisses A sein könnte.)

Von der Ordnung zur Geometrie

Bemerkenswerterweise reicht diese Struktur bereits aus, um mit großer Genauigkeit all das zu rekonstruieren, was wir sonst unter Raumzeit-Geometrie verstehen.

Ich kann diese Behauptung hier nicht tiefgehend begründen, aber salopp gesagt verbirgt sich dahinter das Motto „Ordung + Zahl = Geometrie“. Um das verstehen zu können, muss man folgendes wissen: Laut Allgemeiner Relativitätstheorie kann man die Geometrie der Raumzeit (oder, anders ausgedrückt, das Gravitationsfeld) exakt beschreiben, indem man an jedem ihrer Punkte zehn charakteristische Zahlen angibt.

Neun dieser Zahlen lassen sich daraus rekonstruieren, wie Licht sich durch die betreffende Raumzeit ausbreitet – aus dem einfachen Grunde, dass die Raumzeitgeometrie auch die Lichtausbreitung bestimmt.

Es lohnt sich, diese Aussage etwas genauer zu beleuchten. In der Relativitätstheorie ist die Frage, wie Licht sich ausbreitet, äquivalent zu der Frage, wie die Lichtkegel an jedem Raumzeitpunkt aussehen. Ein Lichtkegel wird von der Gesamtheit aller möglichen Lichtsignale gebildet, die von einem bestimmten Raumzeitpunkt – also alle zur gleichen Zeit am gleichen Ort – ausgesandt oder empfangen werden können. Da Lichtgeschwindigkeit in der Relativitätstheorie eine obere Geschwindigkeitsgrenze darstellt, trennt dieser Kegel die Raumzeit in charakteristische Bereiche, die hier schematisch wiedergegeben sind:

Raumzeitdiagramm

In dieser Abbildung steht die senkrechte Achse für die Zeit (gemessen in einem bestimmten Bezugssystem), während die waagerechte Achse für eine Raumrichtung steht (in demselben Bezugssystem). Der Raumzeitpunkt, den wir betrachten, bildet in unserer Darstellung den Koordinatennullpunkt. Lichtsignale (genauer: ihre Weltlinien) sind als gerade Linien eingezeichnet. Kein Ereignis in der Region III kann der Grund für irgendetwas sein, das sich an unserem Raumzeitpunkt ereignet, da der entsprechende Einfluss sich schneller hätte fortbewegen müssen als das Licht. Andererseits: Jedes Ereignis in der Region II kann die Geschehnisse an unserem Raumzeitpunkt beeinflussen, genau wie sich von unserem Raumzeitpunkt aus im Prinzip jedes Ereignis in Region I beeinflussen lässt.

Das aber ist exakt dieselbe Information, wie sie auch die Ordnung der Elemente der Kausalmenge liefert: Die Aussage „Ereignis A kommt vor Ereignis B“ entspricht der Aussage „Ereignis B befindet sich in Region I des Lichtkegels von Ereignis A“. „Ereignis A kommt nach Ereignis B“ heißt „Ereignis B befindet sich in Region II des Lichtkegels von Ereignis A“. Wo keine Aussage zur Ordnung der Ereignisse A und B vorliegt, entspricht dies der Aussage, Ereignis A sei in Region III des Lichtkegels von Ereignis B (und umgekehrt).

Daher gilt: Wenn wir wissen, welche Ereignisse welchen anderen Ereignissen zeitlich vorausgehen (in dem Sinne, dass sie sie beeinflussen können), dann kennen wir auch den Lichtkegel, und umgekehrt. Um zu unserer Ausgangsfrage zurückzukehren: Wenn wir die zeitliche Ordnung kennen, dann kennen wir auch die Lichtkegel und damit auch an jedem Raumzeitpunkt neun der zehn Zahlen, die benötigt werden, um die Raumzeitgeometrie zu beschreiben.

Was fehlt, ist lediglich diejenige geometrische Information, die es erlaubt, Raumzeitvolumina zu bestimmen. Doch solche Volumina ergeben sich im Kausalmengenmodell direkt durch Abzählen – das Volumen einer Raumzeitregion ist einfach die Zahl der Elemente der Kausalmenge, aus denen die betreffende Region besteht, verkürzt: Volumen gleich Zahl. Vereinfacht gilt demnach: In der Gleichung

Ordnung + Zahl = Geometrie

trägt die Ordnung 9/10 der Information bei und die Zahl 1/10. Sie addieren sich zu 10/10. Allerdings: Einen Sinn ergibt diese Gleichung nur, da Kausalmengen aus abzählbar vielen Elementen bestehen. Wäre eine Kausalmenge ein Kontinuum, würde es aus unendlich vielen, unendlich dicht beieinanderliegenden Elementen bestehen, für die sich keine sinnvolle Abzählvorschrift definieren ließe.

Um ein Gefühl für die Zahlenwerte zu entwickeln, die hier im Spiel sind: Eine Raumzeitregion mit einem Raumvolumen von einem Kubikzentimeter und einer zeitlichen Ausdehnung von einer Sekunde besteht aus rund 10139 Elementen – eine unvorstellbar große Zahl, aber immer noch endlich groß. Damit wäre auch erklärt, warum wir von der Körnigkeit der Raumzeit bislang selbst in Laboratoriumsexperimenten noch nichts bemerkt haben.

Von der Kinematik zur Dynamik: Sequenzielles Wachstum

Die Art von Ordnungsrelation, die eine Kausalmenge definiert, lässt sich auch als Abstammungsmuster auffassen – wenn x vor y kommt, dann ist x sozusagen ein Vorfahre von y. Es liegt daher nahe, eine Kausalmenge als eine Art verallgemeinerten Stammbaum zu zeichnen (in der Sprache der Mathematik: als „Hasse-Diagramm“). In der nachfolgenden Abbildung ist eine Kausalmenge mit nur zehn Elementen in dieser Weise dargestellt. Dabei hat das Element a beispielsweise die Vorfahren b, c und d: a kommt nach jedem dieser drei Elemente. (Der Zeitverlauf ist in diesen Diagrammen von unten nach oben dargestellt – genau wie in normalen Raumzeitdiagrammen, aber im Gegensatz zur üblichen Darstellung von Stammbäumen.)

Darstellung einer Kausalmenge

All das ist bislang allerdings nur, was Physiker „Kinematik ohne Dynamik“ nennen: Es beschreibt, was eine Kausalmenge ist (und wie sie mit einer Raumzeit zusammenhängt), aber nicht, wie sie sich mit der Zeit entwickelt. Ein Ansatz zur Dynamik, der aus jüngeren Forschungen zu Kausalmengen hervorgegangen ist, beschreibt die Entwicklung als Wachstumsprozess, in dem die Elemente nacheinander Schritt für Schritt „geboren“ werden. Die nachfolgende Animation zeigt eine Folge von Geburten, aus denen sich die oben abgebildete Kausalmenge (nennen wir sie C) ergibt:

Wachstum einer Kausalmenge

Zunächst ist noch gar nichts vorhanden. Dann wächst die Kausalmenge Element für Element, jedes davon mit eindeutigen direkten Vorfahren, deren „Elternschaft“ durch die Verbindungslinien angezeigt wird. Die einzige Regel dabei ist: Kein Element kann vor seinen Vorfahren geboren werden. Davon abgesehen ist die Reihenfolge der Geburten nicht weiter bestimmt.

Wichtig ist allerdings, dass die vorangehende Animation nicht der einzige Weg ist, wie C entstanden sein kann. Die folgende Animation zeigt Seite an Seite zwei verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten:

Zwei Beispiele für das Wachstum einer Kausalmenge

Falls Zeit abgesehen von der Ordnungsrelation zwischen den Elementen keine physikalische Bedeutung hat, dann gibt es keinen physikalischen Unterschied zwischen diesen beiden Animationen – sie sind lediglich unterschiedliche Möglichkeiten, ein und denselben Entwicklungsprozess darzustellen.

Diese Gleichwertigkeit auf Ebene der diskreten Kausalmengen entspricht exakt dem so genannten Prinzip der allgemeinen Kovarianz für ein herkömmliches Raumzeit-Kontinuum – der Aussage, dass die unendlich vielen Möglichkeiten, den Raumzeitpunkten Zahlen (als Koordinaten) zuzuordnen, sämtlich zueinander äquivalent sind.

Für ein Raumzeit-Kontinuum führt dieses Prinzip (mit geeigneten Zusatzannahmen) mehr oder weniger eindeutig zu den Einstein-Gleichungen. Für Kausalmengen führt es (mit geeigneten Zusatzannahmen) zu einer Familie möglicher Entwicklungsgesetze, die so genanntes klassisches sequenzielles Wachstum (classical sequential growth, CSG) beschreiben. Wie das Adjektiv „klassisch“ bereits anzeigt, bleiben die Prinzipien der Quantentheorie in dieser Beschreibung außen vor. Ein Hauptziel der derzeitigen Forschung zum Thema Kausalmengen ist es, auch diesen letzten Schritt zu vollziehen und so zu einer Quantenversion der CSG-Modelle zu gelangen. Gelingt dies, wäre eine wahrhaftige Theorie der Quantengravitation gefunden.

Folgerungen und Anwendungen

Selbst beim jetzigen Entwicklungsstand lassen sich aber bereits einige interessante Schlussfolgerungen ziehen. Eine davon, sie wurde bereits kurz erwähnt, betrifft die kosmologische Konstante – eine Erweiterung der ursprünglichen Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie, die Einstein eingeführt, aber später wieder verworfen hatte. Die folgende Abbildung zeigt Ergebnisse einer auf dem Kausalmengen-Modell basierenden Computersimulation:

[Abb. aus M. Ahmed et al., Physical Review D69, 103523 (2004); astro-ph/0209274 / Redesign: Daniela Leitner für Einstein Online]

[Abb. aus M. Ahmed et al., Physical Review D69, 103523 (2004); astro-ph/0209274 /
Redesign: Daniela Leitner für Einstein Online]

Auf der waagerechten Achse ist dabei von links nach rechts die Expansion des Universums aufgetragen. Der Wert -6 beispielsweise bezeichnet denjenigen Punkt der Expansion, an dem jede Region des Universums nur 10-6, also ein Millionstel Mal so groß war wie heute. Die senkrechte Achse zeigt Energiedichten an. Der Wert 20 steht dabei für eine Energiedichte, die 1020 mal so groß ist wie diejenige Energiedichte, die im heutigen Universum mit der kosmologischen Konstanten assoziiert ist. Die blaue Kurve zeigt die Energiedichte, die im Verlaufe der Expansion mit der kosmologischen Konstanten assoziiert ist (genauer: den Absolutwert dieser Energiedichte). Die gerade grüne Linie zeigt die Energiedichteentwicklung für herkömmliche (kalte) Materie, die gerade rote Linie die Dichte der Energie von elektromagnetischer und sonstiger Strahlung im Universum. Wie zu erwarten, fallen die Energiedichten von Materie und Strahlung ab, wenn man die Kurven von links nach rechts betrachtet, sprich: während sich das Universum ausdehnt. Bemerkenswert ist dabei allerdings, dass die Energiedichte der kosmologischen Konstante jeweils ungefähr genauso groß ist wie die Gesamtenergiedichte von Materie und Strahlung. Tatsächlich trägt die Strahlung zu dieser Gesamtenergiedichte im frühen Universum den Löwenanteil bei, und tatsächlich verlaufen dort rote und blaue Kurve direkt übereinander – so, dass man die rote Kurve im linken Teil des Diagramms gar nicht sehen kann. Für die späteren Phasen, in denen die Gesamtenergiedichte fast nur von der Materiedichte ausgemacht wird, fallen entsprechend der rechte Teil der grünen und der blauen Kurve zusammen.

Bis vor nicht allzu langer Zeit haben die Kosmologen die kosmologische Konstante aus ihren Modellen generell herausgelassen, und das oft, ohne diesen Umstand auch nur zu erwähnen. Das änderte sich, als Beobachtungen an Supernovae deutliche Hinweise darauf ergaben, dass die Gravitation in der jetzigen kosmischen Ära über große Distanzen nicht mehr anziehend, sondern abstoßend wirkt. Dies lässt sich durch eine kosmologische Konstante erklären, deren Wert von der Größenordnung her genau der Vorhersage der Kausalmengen-Modelle entspricht. Diese Größenordnung ist in der heutigen Zeit dieselbe wie jene der Gesamtenergiedichte von Materie und Strahlung. Doch wie in der obigen Abbildung zu sehen ist: Diese ungefähre Gleichheit gilt nicht nur heute, sondern während der gesamten Entwicklungsgeschichte des Universums, ein Ergebnis, welches das so genannte „Warum gerade jetzt?“-Problem der Kosmologie löst.

Eine andere Vorhersage der Kausalmengen-Modelle betrifft die Bewegung von Teilchen – solch eine Bewegung sollte lauter winzige, plötzliche Bahnabweichungen aufweisen. Die mathematische Beschreibung dieser Zufallsbewegung sollte exakt von derselben Art sein wie die für Moleküle, die in einer Flüssigkeit diffundieren.

Die bereits verfügbaren Wachstumsmodelle zeigen außerdem eine Erklärungsmöglichkeit für die riesige Ausdehnung und große Gleichförmigkeit unseres Weltalls auf. In ihnen ist das, was wir Urknall nennen, lediglich der Beginn des jüngsten einer Reihe von zyklischer Entwicklungsphasen, in denen das Universum jeweils expandiert und sich wieder zusammenzieht. Mit jedem Zyklus würde sich das Universum zu größerer Ausdehnung aufblähen, und die Tatsache, dass unser Universum so groß ist, wäre lediglich darauf zurückzuführen, dass unserer jetzigen Entwicklungsphase bereits eine große Anzahl früherer Zyklen vorausgegangen ist.

Darüber hinaus geben die heutigen Modelle Hinweise auf die Notwendigkeit, die herkömmlichen Quantenfeldtheorien (dazu gehören die modernen Theorien der Elementarteilchen und Felder) leicht zu modifizieren. Aus den Kausalmengen-Modellen ergibt sich eine Art eng begrenzter Fernwirkung (Nichtlokalität). Diese würde sich zwar nur über sehr kleine Abstände erstrecken, aber die Abstände wären immer noch deutlich größer als die Planck-Länge (rund 10-32 Zentimeter), die üblicherweise als die für Quantengravitationseffekte relevante Größenskala angesehen wird.

Weiterhin ergibt sich aus diesen Modellen eine mögliche Beschreibung dafür, wie der Horizont eines Schwarzen Loches aus Elementarbausteinen aufgebaut sein könnte (die sich direkt aus den Elementen der Kausalmenge ergeben).

Abschließend lohnt es sich, auf eine bereits angedeutete philosophische Konsequenz der CSG-Modelle einzugehen. Oft ist zu hören, das Prinzip der allgemeinen Kovarianz (oder bereits sein Gegenstück in der Speziellen Relativitätstheorie, die Gleichberechtigung aller Inertialbeobachter) zwinge uns, die Konzepte des Werdens und Entstehens aufzugeben und die Raumzeit als ein statisches Gebilde zu betrachten, als zeitloses Tableau der gesamten Vergangenheit und Zukunft. Die CSG-Dynamik liefert ein Gegenbeispiel. Sie zeigt die Möglichkeit eines aktiven Wachstumsprozess auf, in dem Dinge wirklich „passieren“, der aber andererseits das Prinzip der allgemeinen Kovarianz respektiert. In dieser Weise ist es möglich, den Begriff des „Jetzt“ wieder in die Physik einzuführen, ohne dass man dafür den Preis eines Rückschritts zur absoluten Gleichzeitigkeit der prä-relativistischen Physik zahlen müsste.

 

Weitere Informationen

Die relativistischen Grundkonzepte, die diesem Vertiefungsthema zugrundeliegen, werden in Einstein für Einsteiger erklärt, insbesondere im Abschnitt Relativität und Quanten.

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Quellenangabe

Einstein in einem Brief an H.S. Joachim, 14. August 1954, Item 13-453, zitiert in J. Stachel, „Einstein and the Quantum: Fifty Years of Struggle“, in From Quarks to Quasars, Philosophical Problems of Modern Physics (R. G. Colodny, ed.). U. Pittsburgh Press 1986, S. 380-381.

Kolophon
Rafael D. Sorkin

ist emeritierter Physikprofessor an der Syracuse University im US-Bundesstaat New York sowie am Perimeter Institute for Theoretical Physics in Waterloo, Canada. Er forscht an der Formulierung einer Theorie der Quantengravitation mithilfe sogenannter Kausalmengen.

Zitierung

Zu zitieren als:
Rafael Sorkin, “Von der Ordnung zur Geometrie: Kausalmengen” in: Einstein Online Band 04 (2010), 01-1131