Kosmischer Schall und die Krümmung des Raums
Wie sich die Raumgeometrie unseres Universums aus der kosmischen Hintergrundstrahlung ablesen lässt
Ein Artikel von Matthias Bartelmann
Nach dem Urknall war das Universum etwa 400.000 Jahre lang so heiß, dass es keine stabilen Atome gab. Stattdessen war das Universum mit einem Plasma aus Elektronen und Atomkernen gefüllt. Daneben gab es Photonen, Dunkle Materie und außerdem eine Reihe anderer Elementarteilchen, die wir im folgenden aber vernachlässigen können. Die Dunkle Materie beeinflusst die anderen Materiekomponenten nur vermittels der Schwerkraft. Die Photonen und die elektrisch geladenen Teilchen – eben die Elektronen und Atomkerne – wurden durch die elektromagnetische Wechselwirkung eng aneinander gebunden. Als Folge davon war das Universum so lange undurchsichtig, bis es soweit abgekühlt war, dass Elektronen und Atomkerne sich zu Atomen vereinigen konnten.
Die Dunkle Materie war bereits vergleichsweise kurz nach dem Urknall ungleichmäßig verteilt. Es gab Gebiete leicht erhöhter und solche leicht verringerter Dichte. Aus diesen Unregelmäßigkeiten entstanden letztlich unsere heutigen kosmischen Strukturen wie zum Beispiel Galaxien und Galaxienhaufen. Doch bereits damals hatten die Dichteschwankungen wichtige Auswirkungen: Sie führten zu Schwingungen im kosmischen Plasma.
Oszillierendes Plasma
Zu solchen Schwingungen kam es, da die etwas erhöhte Anziehungskraft der dichteren Gebiete das Plasma in der betreffenden Raumregion etwas verdichtete. Diese Verdichtung führte zu erhöhtem Druck, der vor allem durch die Photonen verursacht, aber durch deren enge Wechselwirkung mit den geladenen Teilchen auch dem kosmischen Plasma mitgeteilt wurde. War er hoch genug, konnte der Druck das Plasma wieder auseinandertreiben, wodurch der Druck sank und der Einfluss der Schwerkraft das Plasma erneut verdichten konnte. Die so entstandenen Schwingungen breiteten sich in die Umgebung der Verdichtungen aus. Wegen ihrer Ähnlichkeit zu Schallwellen werden sie auch „akustische Schwingungen“ genannt: Auch Schallwellen sind sich fortpflanzende, periodische Verdichtungen der Luft.
Die Geschwindigkeit, mit der sich Schallwellen ausbreiten, ist die Schallgeschwindigkeit cs, die im jungen Universum etwa 60% der Lichtgeschwindigkeit betrug. Die Schallgeschwindigkeit bestimmt nicht nur, wie schnell ein bereits vorhandenes Verdichtungsmuster durch den Raum läuft, sondern auch, wie lange es dauert, bis eine Region bestimmter Größe insgesamt ins Schwingen gerät: Wenn L die Ausdehnung einer Verdichtung ist, dauert es eine Zeit L/cs, bis sich eine Schwingung ausbilden kann, bei der sich alles darin enthaltene Plasma synchron verdichtet und verdünnt.
Daraus ergibt sich eine Obergrenze für die Größe solcher Dichtestörungen, die überhaupt schwingen konnten, denn das kosmische Plasma hatte nur etwa 400.000 Jahre Zeit, ins Schwingen zu geraten. Als sich dann die Atome bildeten, entfiel die enge Kopplung mit den Photonen: Mit der Bildung neutraler Teilchen verschwanden die freien elektrischen Ladungen, die vorher dafür gesorgt hatten, dass die Photonen laufend von den Materieteilchen absorbiert und wieder abgestrahlt wurden. Damit fiel der Druck im kosmischen Material schlagartig ab, und die Schwingungen hörten auf.
In diesen 400.000 Jahren konnten sich im jungen Universum allenfalls Schwingungen von 230.000 Lichtjahren oder etwa 70.000 parsec Ausdehnung bilden. Verdichtungen, die größer waren, konnten gar nicht erst zu schwingen anfangen. Diese Obergrenze wird als „Schallhorizont“ bezeichnet.
Was bedeutet das für die Kosmologie?
Für die Kosmologie sind diese Schwankungsprozesse unter anderem deswegen interessant, da wir heute nachmessen können, wie groß uns dieser Schallhorizont am Himmel erscheint. Die Photonen, die frei gesetzt wurden, als das kosmische Plasma in stabile Atome überging, umgeben uns heute als kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung. Sie stellt daher eine Art Schnappschuss des frühen Kosmos dar. Sie ist eine Wärmestrahlung – eine einzige Größe, die Temperatur der Strahlung, reicht aus um ihr Spektrum vollständig zu beschreiben (weitere Informationen zu dieser Art von Strahlung bietet das Vertiefungsthema Warum man Wärme sehen kann).
Die Schallwellen im kosmischen Plasma erzeugten kleine Temperaturschwankungen im kosmischen Mikrowellenhintergrund. Je nachdem, in welche Himmelsrichtung wir blicken, kann die Strahlungstemperatur einige hundert- bis zehntausendstel Kelvin (oder, äquivalent, Grad Celsius) höher oder niedriger sein. Diese Temperaturschwankungen können die Astronomen genau vermessen, beispielsweise mithilfe des europäischen Satelliten Planck, der das folgende Bild geliefert hat:
[Bild: ESA, Planck Kollaboration]
Die Himmelskarte ist auf diesem Bild ähnlich abgebildet wie die Erdkugel auf einer Landkarte. Bläuliche Regionen zeigen eine niedrigere, rötliche eine höhere Temperatur der Hintergrundstrahlung an.
Von besonderem Interesse dabei ist, dass die ausgedehntesten Schwankungen, die von den akustischen Schwingungen her rühren, gerade die Größe des Schallhorizonts anzeigen. Das in der Karte sichtbare Muster entsteht durch eine Überlagerung von Schwankungen verschiedener räumlicher Größe, entsprechend all den im jungen Universum möglichen Plasmaschwingungen. Durch eine sorgfältige Datenanalyse, die ganz ähnlich wie eine Frequenzanalyse bei normalen Schallwellen verläuft, kann man aus der Karte herauslesen, welchen Anteil die Schwankungen verschiedener Größe am Gesamtmuster haben. Die Ausdehnung der räumlich größten Schwankung, die dabei auftritt, liefert gerade den Schallhorizont.
Was wir in dieser Weise am Himmel messen können, ist aber nur die Winkelgröße des Schallhorizonts. Andererseits kennen wir seine absolute Größe, nämlich die bereits erwähnten rund 230.000 Lichtjahre. Für die Kosmologen ist das eine hochinteressante Kombination: Aus dem Vergleich der Winkelgröße und der absoluten Größe kann direkt abgelesen werden, wie das Universum gekrümmt ist – ob es flach, kugelartig oder sattelartig ist (mehr Informationen zu diesen Möglichkeiten bietet das Vertiefungsthema Die Form des Raums).
In dem uns vertrauten flachen Raum kennen wir den Zusammenhang: Die Winkelgröße einer festen absoluten Länge, etwa eines Metermaßes, nimmt mit dem Abstand linear ab – zumindest, wenn der Winkel klein ist. Die folgende Abbildung zeigt den Zusammenhang zwischen der Länge L des Metermaßes, des Abstandes und des Winkels α, unter dem das Metermaß erscheint. Die roten Geraden sind die Lichtstrahlen, die uns von beiden Enden des Metermaßes erreichen:
Anders verhält es sich, wenn der Raum positiv gekrümmt ist, analog zu einer Kugeloberfläche. Dann laufen die zwei Lichtstrahlen nicht mehr wie im flachen Raum linear voneinander weg, sondern sind aufgrund der Krümmung leicht aufeinander zu gebogen, wie in der folgenden Abbildung zu sehen ist:
Daher erscheint uns das Metermaß in einem positiv gekrümmten Raum bei gleicher Entfernung größer, entsprechend einem größeren Winkel α.
Umgekehrt ist es in einem negativ gekrümmten Raum. Dort laufen Lichtstrahlen stärker als im flachen Raum auseinander, weshalb der Meterstab bei gleicher Entfernung unter einem kleineren Winkel α erscheint, wie hier zu sehen ist:
Das Prinzip, wie die Krümmung des Raumes aus dem Mikrowellenhintergrund abgelesen werden kann, ist daher denkbar einfach: Wir kennen die absolute Größe der größten Schallwellen im frühen Universum, und wir können ihre Winkelgröße am Himmel genau messen. Die Entfernung zum Mikrowellenhintergrund lässt sich ebenfalls berechnen: Wir wissen, bei welcher Temperatur er freigesetzt wurde, und wir können seine heutige Temperatur messen. Aus dem Verhältnis dieser beiden Temperaturen folgt direkt, um wieviel das Universum von damals bis heute expandiert ist, und aus dieser Information wiederum lässt sich direkt die für die Bestimmung von Winkelgrößen wichtige Entfernung bestimmen. Aus dem Vergleich von absoluter und Winkelgröße der Schallwellen folgt unter Einbeziehung dieser Entfernung unmittelbar die Krümmung des Raums. Auf diese Weise wurde festgestellt, dass der Raum mit hoher Genauigkeit flach sein muss.
Weitere Informationen
Eine frühere Version des Artikels zeigte den Mikrowellenhintergrund gemessen vom amerikanischen Satelliten WMAP. Dies wurde 2020 mit einem aktuelleren Bild des Satelliten Planck ersetzt.
Die relativistischen Grundkonzepte, die diesem Vertiefungsthema zugrundeliegen, werden in Einstein für Einsteiger erklärt, insbesondere im Abschnitt Kosmologie.
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Kolophon
forscht als Professor für theoretische Astrophysik an der Universität Heidelberg unter anderem zu Kosmologie und Gravitationslinseneffekt.
Zitierung
Zu zitieren als:
Matthias Bartelmann, “Kosmischer Schall und die Krümmung des Raums” in: Einstein Online Band 02 (2006), 02-1109