Klimaforschung mit Gravitationswellen-Technologie

Die zwei GRACE Follow-On Satelliten vermessen seit Mitte 2018 das irdische Schwerefeld, um wichtige Daten für Geophysik und Klimaforschung zu erhalten. Mit an Bord ist ein Laserinterferometer, das als Vorbild für künftige Satellitenmissionen dienen soll und ein weiterer Schritt zum Gravitationswellen-Observatorium LISA ist.

Ein Artikel von Gerhard Heinzel

GRACE Follow-On ist die Fortsetzung der äußerst erfolgreichen deutsch-amerikanischen Mission GRACE (Gravity Recovery and Climate Experiment), deren Satelliten von 2002 bis 2017 etwa 90.000-mal die Erde umrundeten und dabei das Schwerefeld unseres Heimatplaneten vermaßen. Auch in der Neuauflage des Experiments umkreisen wieder zwei Satelliten auf identischen Bahnen die Erde in rund 490 Kilometer Höhe und mit einem Abstand von 200 Kilometern. Die Satelliten umrunden die Erde alle 90 Minuten auf Bahnen, die sie über die Pole führen. Wegen der Erdrotation vermessen sie bei aufeinanderfolgenden Umläufen nebeneinander liegende Streifen der Oberfläche.

Über einer großen Massenansammlung, wie etwa einem Gebirge, ist das Schwerefeld der Erde etwas stärker als beispielsweise über Wasser. Dadurch wird der vorauseilende Satellit zunächst beschleunigt, sodass sich der Abstand zwischen den beiden um den Bruchteil eines Millimeters vergrößert – erreicht der hintere Satellit die Stelle, holt er wieder auf. Aus diesen kleinen Abstandsvariationen – gesammelt über viele Erdumläufe – lassen sich schließlich das Schwerefeld und damit die Massenverteilung der gesamten Erde rekonstruieren.

Zwei Satelliten in Abstand zueinander fliegen über der Erde

GRACE Follow-On ist ein Tandem aus zwei Satelliten, die die Erde in einem gegenseitigen Abstand von 220 Kilometern auf der gleichen Bahn in 490 Kilometer Höhe über dem Erdboden umrunden. Die Mission vermisst den Abstand zwischen den Satelliten mit Mikrowellen (blau) und einem neuen Laserinterferometer (rot). © Erde: NASA „Blue Marble“, Satelliten: Schütze/AEI

Am interessantesten für die Geowissenschaften sind zeitliche Änderungen des Schwerefeldes. Sie können genutzt werden, um Indikatoren des Klimawandels zu messen. Dazu zählen beispielsweise das Abschmelzen der polaren Eismassen und Veränderungen im Grundwasserpegel. Diese zeitlich variierenden Veränderungen des Schwerefeldes sind allerdings auch wesentlich schwächer als die statischen Gravitationsanomalien, die beispielsweise von der Abplattung der Erde herrühren. Die Satelliten müssen daher ihre Abstände auf Mikrometer oder sogar Nanometer genau messen, um die zeitlichen Veränderungen von den statischen trennen zu können. Die Vorgängermission GRACE nutzte zwischen 2002 und 2017 erfolgreich Mikrowellen zur Abstandsmessung, mit einer Genauigkeit von ein bis zwei Mikrometern.

Eine Nachfolgemission mit Zukunftstechnologie

Die GRACE-Daten und insbesondere die damit erstmals messbaren langjährigen Trends wurden unersetzlich für die Klimaforschung und verwandte Gebiete. Deshalb beschloss man um das Jahr 2008 eine Nachfolgemission namens GRACE Follow-On. Diese sollte nach dem Ende der GRACE-Mission im Jahr 2017 mit möglichst kurzer Lücke den Strom wertvoller Messdaten fortsetzen.

Um Zeit zu sparen und Risiken zu vermeiden, die mit einer kompletten Neuentwicklung einhergehen, wurde GRACE Follow-On im Wesentlichen als Kopie von GRACE geplant, mit dem gleichen deutsch-amerikanischen Team und den gleichen Instrumenten. Darum setzt auch GRACE Follow-On primär auf die Mikrowellenmessung.

Zusätzlich wird auf GRACE Follow-On erstmals eine Zukunftstechnologie erprobt: Laserinterferometrie. Am Albert-Einstein-Institut in Hannover entwickeln Forschende diese Technologie seit 20 Jahren für das Gravitationswellen-Observatorium LISA, das im Weltall Gravitationswellen von astrophysikalischen Objekten beobachten und so die unsichtbare, gravitative Seite des Universums erkunden soll. Dazu wird es winzigste Abstandsänderungen zwischen Satelliten mithilfe von Laserlicht messen. Viele der notwendigen neuartigen Techniken sind auch ideal geeignet für GRACE Follow-On.

Ein Laserinterferometer aus Hannover

2008 trat die NASA an das AEI heran und schlug vor, gemeinsam ein solches Laserinstrument zu entwickeln und auf GRACE Follow-On einzusetzen. So entstand das Laser Ranging Interferometer (LRI), das innerhalb von acht Jahren geplant, konstruiert und ins All gebracht wurde – für solche Projekte eine erstaunlich kurze Zeit.

Das LRI ist ein Partnerprogramm zwischen der NASA, dem Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) in Potsdam und dem Albert-Einstein-Institut, zusammen mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der deutschen Raumfahrtindustrie, gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Die NASA lieferte den Laser, den Resonator zur Frequenzstabilisierung und die Elektronik zur Phasenauslesung. Aus Deutschland kommt das optische System mit zugehöriger Elektronik.

Höhenprofil des Himalaya

Höhenprofil des Himalaya, aus Fernerkundungsdaten der Shuttle Radar Topography Mission, in der Mitte der rechten Kante liegt Myanmar. Darüber die gefilterten Messungen des neuartigen Laser Ranging Instrumentes (LRI) beim Überflug in 490 km Höhe und 200 km Abstand.
© G.Heinzel/Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik; GRACE-FO-Daten: NASA, GFZ, JPL; Kartendaten: SRTM

LISA-Technologie im Einsatz für die Klimaforschung

Im Mai 2018 startete GRACE Follow-On auf einer Falcon-9-Rakete von der Vandenberg Air Force Base in Kalifornien. In ihrer Umlaufbahn angekommen, durchliefen die Satelliten einige Routinetests, und das Mikrowellen-Instrument ging in den Betrieb. Das Einschalten von Laser und Elektronik des LRI war ein besonders spannender Moment für die AEI-Forschenden: Die knifflige Aufgabe bestand darin, die von beiden Satelliten ausgehenden Laserstrahlen so zu justieren, dass sie den einige Zentimeter großen Empfänger des jeweils anderen in 200 km Entfernung trafen. Zu diesem Zweck hatten die Forschenden eine Suchprozedur entwickelt, bei der die Satelliten die Laserstrahlen spiralförmig schwenken. Die Satelliten meldeten postwendend den Erfolg zurück. So ging das LRI am 14. Juni 2018 in den Messbetrieb. Was ursprünglich als dreimonatiges Experiment geplant war, lieferte zweieinhalb Jahre nach dem Start weiter verlässlich Daten. Dabei erreicht das LRI eine um Größenordnungen bessere Genauigkeit als das Mikrowelleninstrument, sodass weitere Nachfolgemissionen wahrscheinlich ausschließlich mit Lasertechnologie arbeiten und auf die Mikrowellenmessung verzichten werden.

Weitere Informationen

Finanziert wurde der deutsche LRI-Beitrag vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF, Projekt 03F0654B) und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Federführend für den gesamten deutschen Beitrag zu GRACE Follow-On, der außer dem LRI auch den Raketenstart und den Betrieb umfasst, ist das Deutsche GeoForschungsZentrum.

Dieser Artikel basiert auf einer früheren Publikation im Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft von 2018 (https://doi.org/10.17617/1.7V).

Mehr Informationen über GRACE Follow-On sind auch auf den Seiten des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik zu finden. Ein Erklärfilm ist auf YouTube zu finden.

Literatur

Klaus Abich et al. In-Orbit Performance of the GRACE Follow-on Laser Ranging Interferometer. Phys. Rev. Lett. 123 (3),031101 (2019)

B. S. Sheard, G. Heinzel, K. Danzmann, D. A. Shaddock, W. M. Klipstein und W. M. Folkner. Intersatellite laser ranging instrument for the GRACE follow-on mission. Journal of Geodesy, 86, 1083-1095 (2012)

B. D. Tapley, S. Bettadpur, J. C. Ries, P. F. Thompson und M. M. Watkins. GRACE Measurements of Mass Variability in the Earth System. Science, 305, 503-506 (2004)

 

Kolophon
Gerhard Heinzel

Gerhard Heinzel ist Physiker am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover und Leiter der Forschungsgruppe Weltrauminterferometrie.

Zitierung

Zu zitieren als:
Gerhard Heinzel, “Klimaforschung mit Gravitationswellen-Technologie” in: Einstein Online Band 13 (2021), 1103