Erstmals Gravitationswellen kollidierender Neutronensterne gemessen

Nicht nur verschmelzende Schwarze Löcher, auch Neutronensternpaare senden Gravitationswellen aus.

Ein Artikel von Tim Dietrich

Mehr als 100 Jahre nach der Formulierung der Allgemeinen Relativitätstheorie durch Albert Einstein und mehr als 30 Jahre nach der ersten Entdeckung eines Doppelneutronensternsystems konnten erstmals Gravitationswellen kollidierender Neutronensterne nachgewiesen werden. Die Messung der abgestrahlten Gravitationswellen und ihres elektromagnetischen Fingerabdrucks stellt einen Durchbruch auf dem Forschungsfeld der Multi-Messenger-Astronomie dar.

Der erstmalige direkte Nachweis von Gravitationswellen im September 2015, ausgesandt von zwei verschmelzenden  Schwarzen Löchern, ist ein Meilenstein der modernen Physik, der mit dem Nobelpreis 2017 belohnt wurde.

Gravitationswellen sind winzige Kräuselungen der Raumzeit, die entstehen, wenn sich große Massen beschleunigt bewegen. 1916 sagte Albert Einstein die Existenz solcher Wellen voraus, schlussfolgerte aber, dass diese zu schwach wären, um sie jemals messen zu können. Mit immer ausgefeilteren experimentellen Methoden und Messtechniken sowie immensen Fortschritten im Bereich der Computersimulation und Datenanalyse begann hundert Jahre später dennoch die Ära der Gravitationswellen-Astronomie mit dem ersten gemessenen Gravitationswellensignal.

Da Gravitationswellen immer dann entstehen, wenn sich Massen beschleunigt bewegen, senden nicht nur Schwarze Löcher, sondern auch andere massereiche Himmelskörper Gravitationswellen aus. Ein Beispiel sind Neutronensterne: kompakte Überreste von Supernova-Explosionen, bestehend aus extrem dichter Materie. Sie besitzen einen Durchmesser von 20 bis 30 Kilometern und beinhalten mitunter mehr als doppelt so viel Masse wie unsere Sonne.

Der erste indirekte Nachweis von Gravitationswellen von Neutronensternen gelang den US-amerikanischen Astrophysikern Russell A. Hulse und Joseph H. Taylor bereits 1974 und brachte ihnen knapp 20 Jahre später den Physik-Nobelpreis ein. Es dauerte bis zum 17. August 2017, bis Gravitationswellendetektoren auf der Erde erstmals das direkte Signal von zwei umeinander kreisenden und schließlich kollidierenden Neutronensternen auffangen konnten. Es erhielt die Bezeichnung GW170817.

Die Animation zeigt das Gravitationswellensignal mit Farben von gelb bis rot mit zunehmender Stärke, die Dichte der Neutronensterne von hell bis dunkelblau mit Dichten im Bereich von 200.000 bis 600.000 Tonnen pro Kubikzentimeter. Zusätzlich wird die Materie, die aus dem System ausgestoßen wird, in violett dargestellt. Dieses ausgestoßene Material ist die Quelle für die nach der Verschmelzung der Neutronensterne entdeckte Kilonova. Da die Dichte dieses freigesetzten, ausgestoßenen Materials kleiner ist als innerhalb des Neutronensterns, zeigen wir auch Material mit einer Dichte von nur 600 Tonnen pro Kubikzentimeter. Abschließend wird das Schwarze Loch, das sich nach dem Zusammenbruch des überschweren Neutronensterns bildet, grau dargestellt.
Video: Numerische Simulation: T. Dietrich (Max Planck Institute for Gravitational Physics) and the BAM collaboration; Visualisierung: T. Dietrich, S. Ossokine, H. Pfeiffer, A. Buonanno (Max Planck Institute for Gravitational Physics)

Schnelle Lokalisierung trotz erschwerter Datenanalyse

Die beiden LIGO-Detektoren in den USA beobachteten GW170817 rund 100 Sekunden lang. Doch ein lautes Störsignal überlagerte die Messung in einem der Geräte und behinderte so die Datenanalyse. Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik konnten diese Störung aus dem Signal entfernen und ermöglichten somit eine Lokalisierung des Ursprungsortes. Da zusätzlich zu den LIGO-Detektoren auch der europäische Virgo-Detektor in Betrieb war, wurde die Himmelsposition so genau bestimmt, dass binnen 12 Stunden nach der Entdeckung Astronomen die Ursprungsgalaxie für das Ereignis identifizierten.

Die schnelle Himmelslokalisierung durch die LIGO-Instrumente von GW170817 (in blau) und die letztendliche Lokalisierung mittels beider LIGO-Instrumente und den Virgo-Detektor (in grün). Die grauen Ringe sind Einschränkungen der Triangulation durch die drei möglichen Detektorpaare.

Die schnelle Himmelslokalisierung durch die LIGO-Instrumente von GW170817 (in blau) und die letztendliche Lokalisierung mittels beider LIGO-Instrumente und den Virgo-Detektor (in grün). Die grauen Ringe sind Einschränkungen der Triangulation durch die drei möglichen Detektorpaare.
© LIGO/Virgo/NASA/Leo Singer (Bild der Milchstraße: Axel Mellinger)

Neue Erkenntnisse durch Multi-Messenger-Astronomie

Im Gegensatz zur Kollision von Schwarzen Löchern wird beim Verschmelzen von zwei Neutronensternen auch elektromagnetische Strahlung abgegeben. Die sehr präzise Lokalisierung durch LIGO und Virgo erlaubte es schon wenige Stunden nach der Messung einer Handvoll von Observatorien rund um den Globus, den Himmelsbereich abzusuchen, aus dem das Signal kam. Schließlich waren etwa 70 astronomische Observatorien auf der Erde und im All an Folgebeobachtungen beteiligt und untersuchten elektromagnetische Signale dieses Ereignisses. Es erfolgten Messungen im optischen, infraroten, ultravioletten sowie Röntgen-, Radio- und Gammastrahlungsbereich. Das ermöglichte die Überprüfung einer Vielzahl von theoretischen Modellen solcher Ereignisse. Zum Beispiel bestätigt die Identifizierung von GW170817 als Doppelneutronensternsystem und die Beobachtung eines Gammastrahlenblitzes nur 1,7 Sekunden nach dem Verschmelzungsvorgang die Vermutung, dass Kollisionen von Neutronensternen für die bereits länger bekannten, hoch energetischen Gammastrahlenblitze verantwortlich sind.

Weiterhin weisen die Signale im optischen und infraroten Spektrum darauf hin, dass sich unter den extremen Bedingungen beim Zusammenprall der Sterne neue, schwere Elemente gebildet haben, unter anderem Gold und Platin. Damit ist ein großer Schritt zur Lösung des Jahrzehnte alten Rätsels um den Ursprung der chemischen Elemente schwerer als Eisen im Universum getan.

Aufbauend auf einer Idee des emeritierten Direktors des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik, Bernard F. Schutz, gelang mithilfe von GW170817 auch eine neue, unabhängige Bestimmung der Expansionsgeschwindigkeit des Universums.

Auf das Innere kommt es an

Eines der größten ungelösten Rätsel der Kernphysik ist es, Materie mit extrem hohen Dichten –  größer als die Dichte eines Atomkerns – zu beschreiben. Solche Materiedichten unter den üblichen Laborbedingungen zu erzeugen ist bislang unmöglich. Untersuchungen von Neutronensternen erlauben direkte Rückschlüsse darauf, wie sich Materie unter solch extremen Zuständen verhält.

Dafür ist eine detaillierte Untersuchung des Gravitationswellensignals nötig. Um dieses aus dem Detektorrauschen herauszufiltern und die Eigenschaften von GW170817 zu verstehen, sind komplexe Analyseverfahren und hochpräzise Wellenformmodelle essenziell. Mitarbeiter der Abteilung Astrophysikalische und kosmologische Relativitätstheorie des MPI für Gravitationsphysik haben wesentlich dazu beigetragen, diese Analysealgorithmen und Wellenformmodelle zu entwickeln und kontinuierlich zu verbessern. Mit diesen Methoden gelang es, die Massen und Eigenrotationen der beiden Neutronensterne des Ereignisses GW170817 zu bestimmen und Aussagen über die Eigenschaften extrem dichter Materie zu treffen.

Diese Einzelbilder aus der numerisch-relativistischen Simulation zweier einander umkreisender und verschmelzender Neutronensterne (GW170817) zeigen die Dichteverteilung während des Verschmelzungsprozesses. Höhere Dichten sind rot dargestellt, geringere Dichten sind gelb dargestellt. Das Resultat der Kollision ist ein schwarzes Loch. <br >© T. Dietrich, S. Ossokine, H. Pfeiffer, A. Buonanno (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik), BAM-Kollaboration

Diese Einzelbilder aus der numerisch-relativistischen Simulation zweier einander umkreisender und verschmelzender Neutronensterne (GW170817) zeigen die Dichteverteilung während des Verschmelzungsprozesses. Höhere Dichten sind rot dargestellt, geringere Dichten sind gelb dargestellt. Das Resultat der Kollision ist ein schwarzes Loch.
© T. Dietrich, S. Ossokine, H. Pfeiffer, A. Buonanno (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik), BAM-Kollaboration

Neuste analytische Rechnungen und numerische Simulationen weisen auf schwächere abstoßende Kernkräfte in den Neutronensternen hin als es manche Modelle vorhersagen. Wären starke abstoßende Kernkräfte aktiv, so wären die Neutronensterne leichter verformbar, was ein messbar anderes des Gravitationswellensignals zur Folge gehabt hätte.

Die Gravitationswellen-Astronomie hat ihre Bewährungsprobe bestanden

Astrophysikerinnen und Astrophysiker erleben gerade eine ausgesprochen fruchtbare und spannende Zeit: Winzige Wellen der gekrümmten Raumzeit sind nun messbar. Kollidierende Neutronensterne enthüllen ihr Inneres und liefern Details über die Entstehung schwererer Elemente im Universum. Doch nicht nur das gemessene Gravitationswellensignal, mehr noch die gemeinsame Messung von Gravitationswellen und elektromagnetischer Strahlung stellt einem Durchbruch im Bereich der Multi-Messenger-Astronomie dar.

Weitere Informationen

Dieser Artikel erschien in leicht anderer Form erstmals in den Forschungsberichten der Max-Planck-Gesellschaft im Jahr 2017

Quelle

  • Abbott, B. P. et al. (LIGO Scientific Collaboration and Virgo Collaboration)
    GW170817: Observation of Gravitational Waves from a Binary Neutron Star Inspiral
    Physical Review Letters 119, 161101 (2017)
    DOI 10.1103/PhysRevLett.119.161101
Kolophon
Tim Dietrich

ist theoretischer Astrophysiker und Professor an der Universität Potsdam.

Zitierung

Zu zitieren als:
Tim Dietrich, “Erstmals Gravitationswellen kollidierender Neutronensterne gemessen” in: Einstein Online Band 11 (2019), 11-1102