Einstein@Home – Gravitationswellenjagd für alle

Informationen zu einem Projekt, bei dem sich private Nutzer mit ihren Computern an der Suche nach Gravitationswellen beteiligen können – vielleicht ja auch Sie?

Ein Artikel von Reinhard Prix, Bernd Machenschalk, Benjamin Knispel

Für derzeit einige zehntausend Computerbenutzer weltweit gilt: Wenn sie ihren Rechner gerade nicht selbst beanspruchen, begibt er sich auf die Jagd nach Gravitationswellen. Dazu werden Datenpakete der LIGO- Detektoren geladen und mit Hilfe eines Auswerteprogramms bearbeitet, während ein Bildschirmschoner (Bild unten) anzeigt, welche Daten der Computer gerade analysiert und welchen Himmelssektor er dabei nach Gravitationswellen durchsucht.

Einstein@Home

Das Projekt, das Nutzer einlädt bei der Gravitationswellenjagd mitzumachen, heißt Einstein@Home, und der Grund, viele Kräfte bei dieser Jagd zu bündeln, ist die immense Rechenleistung, die sie benötigt. Denn bei den aktuell betriebenen Gravitationswellendetektoren sind typische Gravitationswellensignale im Vergleich mit den vielfachen Störeinflüssen sehr schwach. Um herauszufinden, ob sich in dem Rauschen ein Gravitationswellensignal verbirgt, muss man genau wissen, wonach man sucht – und kann nach Signalen mit einer genau bekannten Form suchen. Das stellt freilich an die Rechenleistung höchste Anforderungen.

Wellen von rotierenden Neutronensternen

Das charakteristische Signal, nach dem Einstein@Home Ausschau hält, gehört zu einer sehr einfachen Klasse von Gravitationswellen, wie sie von rotierenden, leicht deformierten Neutronensternen ausgesandt werden. Um Gravitationswellen zu emittieren, dürfen diese nicht vollkommen rotationssymmetrisch sein (sollten also etwa leichte Beulen aufweisen). Neutronensterne sind Astronominnen und Astronomen bestens bekannt: Etwa 3000 solcher Objekte kennen sie als Pulsare in unserer Galaxie. Überschlägt man die Gesamtzahl von Neutronensternen anhand der Rate von Supernova-Explosionen, aus denen sie entstehen, dann müsste die Milchstraße über 100 Millionen Neutronensterne beherbergen! Aber wo sind sie? Einige der fehlenden Neutronensterne könnten nur über ihre Gravitationswellensignale detektierbar sein. Diese haben eine sehr einfache Struktur: abgestrahlt werden einfache Sinuswellen, deren Frequenz gerade doppelt so groß ist wie die der Sternrotation.

Trotz der Einfachheit des Signals ist der Suchaufwand gerade hier sehr groß: Da zu erwarten ist, dass solche Wellen äußerst schwach sind, lässt sich nur über lange Beobachtungszeiträume entscheiden, ob die Daten tatsächlich ein solches Signal enthalten oder nicht. Je schwächer das Signal, umso länger der benötigte Beobachtungszeitraum; für die heutigen Detektoren sind dies Monate oder Jahre.

Die langen Beobachtungszeiten führen zur nächsten Schwierigkeit, denn währenddessen dreht sich die Erde (mit dem Detektor darauf) um sich selbst und bewegt sich zudem auf ihrer Bahn um die Sonne. Diese Bewegung des Detektors relativ zur Quelle verursacht einen Dopplereffekt, durch den sich die von irdischen Beobachtern gemessene Frequenz des Signals mit der Zeit etwas verändert – und zwar je nach dem Ort der Quelle am Himmel ein wenig anders.

Das ist einerseits positiv, heißt es doch, dass sich aus einem nachgewiesenen Signal auch die Position der Gravitationswellenquelle bestimmen lässt. Andererseits folgt daraus aber ungünstigerweise: Wer in den Detektordaten nach den Gravitationswellensignalen von bislang unbekannten Neutronensternen sucht, muss nicht nur alle möglichen Frequenzen durchprobieren. Er muss auch für jeden möglichen Ort der Quelle nach einer etwas anderen Art von Signalverlauf suchen. (Ein weiterer Suchparameter blieb bislang unerwähnt: Bei vielen Neutronensternen nimmt die Rotationsgeschwindigkeit mit der Zeit ab. Auch die verschiedenen Abbremsungswerte müssen in entsprechenden Suchmustern berücksichtigt werden.)

Die schlechte Nachricht: Insgesamt ergibt sich eine Vielzahl von Mustern, die selbst von Großrechnern nicht zu bewältigen ist. Wie effektiv die heutigen Gravitationswellendetektoren im Aufspüren von unbekannten Neutronensternen sind, wird nicht durch die Detektortechnik begrenzt, sondern vor allem durch die verfügbare Rechenleistung.

Die gute Nachricht: Die Suche nach diesen Mustern lässt sich problemlos in kleinere, unabhängige Arbeitspakete splitten. Wenn die Datenmenge für jedes dieser Arbeitspakete klein genug ist, können diese über das Internet an viele verschiedene Computer verteilt werden. Jeder Computer bearbeitet dann sein eigenes kleines Datenpaket. Und das bringt uns zurück zu Einstein@Home.

Die Rechenleistung privater Computer anzapfen

Weltweit gibt es sowohl in Privathaushalten als auch in Firmen Milliarden von Computern, deren Rechenkapazität bei weitem nicht zu jeder Zeit ausgelastet ist. Wer auch nur einen Teil ihrer Leerlaufzeit nutzt, erschließt sich ein Rechenpotenzial, das alle Supercomputer in den Schatten stellt.

Diese geniale Idee wurde erstmals mit dem Projekt „SETI@Home“ im großen Stil umgesetzt – dort war es die Suche nach Radiosignalen außerirdischer Intelligenzen, die auf viele Privatrechner verteilt wurde. Einstein@Home nutzt die für dieses Projekt entwickelte Software (eine frei verfügbare Bibliothek namens BOINC), verbindet sie mit den Suchalgorithmen für die Signale rotierender Neutronensterne und ermöglicht so einer breiteren Öffentlichkeit die Teilnahme an der Gravitationswellenjagd. Entwickelt wurde die Einstein@Home-Software hauptsächlich an der Universität Wisconsin-Milwaukee (USA) und am Albert-Einstein-Institut in Potsdam. Einstein@Home gehört zudem zu den Projekten der American Physical Society im Weltjahr der Physik 2005 und zum Internationalen Jahr der Astronomie 2009.

Vor dem Hintergrund eines emittierenden kosmischen Objekts hält ein Nutzer ein Smartphone. Das Display zeigt die Einstein@Home Software, laut der Anzeige läuft gerade die Suche nach einem Signal binärer Radiopulsare.

Greifen Sie nach den Sternen und entdecken Sie neue Radiopulsare mit Einstein@Home auf Ihrem Android-Gerät! Bildnachweis: Max Planck Institut für Gravitationsphysik/B. Knispel/NASA

Seit seiner Einführung 2005 ist Einstein@Home zu einem der größten Rechenprojekte der Welt angewachsen, egal, ob man die Zahl der Freiwilligen, die Rechenleistung oder den wissenschaftlichen Output anhand der Zahl der veröffentlichten Fachartikel betrachtet.

Die Software, auf der Einstein@Home basiert (BOINC), kann kleinere bis mittelgroße Projekte bewältigen, die von einem einzelnen Server kontrolliert werden. Allerdings bringt Einstein@Home mit seinen zehntausenden Computern, die zur gleichen Zeit aktiv sind, doch eine deutlich größere Rechnerlast. Darum betreibt Einstein@Home etwa ein Dutzend eigene Server für Steuerung des verteilten Rechnens.

Wie funktioniert das Ganze? Wer seinen Computer auf Einstein@Home angemeldet und die Software installiert hat, dem senden die Einstein@Home-Server regelmäßig Datenpakete und Auswerteprogramme. Wann immer der Computer nicht anderweitig genutzt wird, wendet er die Suchalgorithmen auf die Daten an und sendet die Ergebnisse zurück an die Einstein@Home-Server. Ein Punktesystem schafft zusätzlichen Anreiz: Benutzende oder Benutzergruppen („Teams“) können anhand einer auf der Einstein@Home-Webseite veröffentlichten Rangliste sehen, wie viele Punkte sie bereits errungen und wie viel sie damit persönlich zur Gravitationswellensuche beigetragen haben. Eine Liste der Top-Teilnehmenden und -Teams findet sich auf der Einstein@Home-Website.

So leistungsfähig wie ein Supercomputer

Mehr als eine halbe Million Freiwillige aus der ganzen Welt haben dem Projekt bis heute, 15 Jahre nach dem Start, Rechenzyklen zur Verfügung gestellt. Mehr als 20.000 Benutzer mit fast 35.000 Computern und 300.000 CPU-Kernen sind im Durchschnitt aktiv. Darüber hinaus werden einige Berechnungen auf fast 15.000 Grafikprozessoren (GPUs) durchgeführt, die Freiwillige zur Verfügung stellen. GPUs verfügen über viel mehr Rechenkerne als CPUs, mit denen Daten parallel verarbeitet werden können; für bestimmte Berechnungen ist die geringere Präzision ausreichend und wird durch die große Rechenleistung der GPUs ausgeglichen. Dadurch beträgt die Rechenleistung von Einstein@Home etwa sechs PetaFLOPs, sechs Billiarden einzelne Rechenoperationen pro Sekunde – auf Augenhöhe mit den leistungsfähigsten Supercomputern der Welt.

Die empfindlichste Suche nach kontinuierlichen Gravitationswellen

Das langfristige Ziel von Einstein@Home ist der direkte Nachweis kontinuierlicher Gravitationswellen. Bislang ist das noch nicht geglückt. Doch Suchen mit immer höherer Empfindlichkeit verbessern die Nachweisgrenze von kontinuierlichen Gravitationswellen der galaktischen Neutronensterne beständig.

Einstein@Home ist die empfindlichste auf den ganzen Himmel bezogene Suche nach kontinuierlichen Gravitationswellen, die es gibt. Jüngst hat sie sich die öffentlichen Daten von LIGOs zweitem Beobachtungslauf (O2) vorgenommen. Während künstliche Signale, die an den LIGO Detektoren zu Validierungszwecken simuliert werden, erwartungsgemäß erfolgreich entdeckt wurden, wurden darüber hinaus keine anderen kontinuierlichen Gravitationswellensignale gefunden. Aber selbst diese Nicht-Detektion ist astrophysikalisch bedeutsam: Sie verrät etwas über die Population schnell rotierender Neutronensterne in unserer Galaxie. Angewandt auf den Einstein@Home-Suchlauf für O2 bedeutet das etwa, dass es innerhalb von etwa 300 Lichtjahren um die Sonne keine Neutronensterne geben kann, die schneller als 12.000 Mal pro Minute rotieren und um mehr als ein Zehnmillionstel ihres Radius deformiert sind.

Die Suche nach elektromagnetischen Signalen von Neutronensternen

Im Frühling 2009 startete Einstein@Home eine neue Suche nach Radiopulsaren in Doppelsystemen mit Daten vom Arecibo-Radioobservatorium in Puerto Rico. Diese Arbeit wurde zusammen mit der PALFA Kollaboration am AEI in Hannover entwickelt und dann von Prof. Jim Cordes in Cornell geleitet. Diese Suche dient dazu, neue Radiopulsare in Doppelsystemen mit Umlaufsystemen von weniger als einer Stunde zu finden, sie ist aber auch empfindlich für isolierte Radiopulsare und solche in Orbits mit einer längeren Umlaufzeit. Weitere Suchen nach Radiopulsaren werden in den Archivdaten des australischen Parkes-Radioteleskops durchgeführt. Stand heute hat diese Suche 55 bis dahin unbekannte Pulsare gefunden. Zurzeit läuft sie auf ARM-angetriebenen Geräten unter Android und Linux.

Unter den Radiopulsaren, die Einstein@Home entdeckte, gab es mehrere schnell rotierende Millisekunden-Pulsare, manche in Doppelsystemen, die Tests der Allgemeinen Relativitätstheorie erlauben; solche, die ihre Radioemissionen von Zeit zu Zeit abschalten und ein paar Seltenheiten im Zoo der Pulsare.

In der Mitte ist ein kosmisches Objekt, darum verlaufende Kurven zeigen das Magnetfeld an. Lila und grüne Lichtflecken stehen für emittierte Strahlung.

Ein Pulsar ist ein kompakter Neutronenstern mit einem extrem starken Magnetfeld. Darin werden Partikel beschleunigt, was zur Abstrahlung von Gammawellen (lila) und Radiowellen (grün) führt. Bildnachweis: NASA/Fermi/Cruz de Wilde

Seit Mitte 2011 analysiert Einstein@Home auch Daten des Fermi Gamma-ray Space Telescopes mithilfe neuer Methoden, die ursprünglich für die Gravitationswellenjagd am AEI in Hannover entwickelt wurden. Stand heute hat Einstein@Home 25 neue Gamma-Pulsare entdeckt. Es gibt außerdem eine erfolgreiche Suche für ausgewählte Gamma-Pulsare in Doppelsystemen, die auf den GPUs der Freiwilligen läuft.

Die Entdeckungen von Einstein@Home im Bereich der Gammastrahlen umfasst auch den ersten Millisekunden-Pulsar, der nur im Gammabereich sichtbar ist, ein seltsames Gespann aus einem schweren Neutronenstern mit einem leichtgewichtigen Begleiter, der um ihn kreist; einen rekordverdächtigen Millisekunden-Pulsar in einem Doppelsystem, einen jungen und energiereichen Neutronenstern mit einer ungewöhnlich unregelmäßigen Rotation und viele mehr.

Wird Ihr Computer der erste sein?

Einstein@Home verbessert seine Suchstrategie kontinuierlich, indem Softwareentwicklung und Datenanalyse Hand in Hand arbeiten, sodass die enorme Rechenleistung, die die Freiwilligen spenden, noch besser genutzt werden kann. Einstein@Home ist das empfindlichste und mächtigste Werkzeug bei der Suche nach kontinuierlichen Gravitationswellen. Mit etwas Glück könnte Ihr Beitrag die erstmalige Entdeckung dieser schwer fassbaren Wellenart ermöglichen!

Weitere Informationen

Die relativistischen Grundkonzepte, die diesem Vertiefungsthema zugrundeliegen, werden in Einstein für Einsteiger erklärt, insbesondere im Kapitel Gravitationswellen.

Verwandte Vertiefungsthemen auf einstein-online finden sich in der Kategorie Gravitationswellen. Die aktuell betriebenen Gravitationswellendetektoren sind im Spotlight „Ohren in aller Welt“ gelistet.

Die Webseiten des Einstein@Home-Projektes findet man unter Einstein@Home

Dieser Artikel wurde im Januar 2021 aktualisiert. Die ursprüngliche Version von 2010 steht hier zum Download bereit.

Kolophon
Reinhard Prix

ist Wissenschaftler am Albert-Einstein-Institut in Hannover. Sein Forschungsinteresse gilt Neutronensternen und dem Nachweis von Gravitationswellen; er ist einer der Entwickler von Einstein@Home.

Bernd Machenschalk

ist Informatiker am Albert-Einstein-Institut in Hannover. Er arbeitet an der Analyse der Daten der Gravitationswellendetektoren LIGO und GEO600 und ist wesentlich an der Entwicklung von Einstein@Home beteiligt.

Benjamin Knispel

ist Astrophysiker und Pressereferent am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Hannover.

Zitierung

Zu zitieren als:
Reinhard Prix, Bernd Machenschalk, Benjamin Knispel, “Einstein@Home – Gravitationswellenjagd für alle” in: Einstein Online Band 13 (2020), 13-1101