Die gebändigte Dichte

Wie die Schleifen-Theorie der Quantengravitation den absurden Zustand unendlicher Dichte überwinden könnte, den Urknall, der in der Einsteinschen Relativitätstheorie am Anfang des Universums steht.

Ein Artikel von Martin Bojowald

Den herkömmlichen, auf der Allgemeinen Relativitätstheorie basierenden Urknallmodellen nach stand am Anfang der Entwicklung unseres Universums ein absurder physikalischer Zustand: Der Urknall, ein Zeitpunkt, zu dem all das, was wir heute an Materie und Raum um uns herum sehen zu einem einzigen Punkt unendlich hoher Dichte zusammengezogen war. Solche Unendlichkeiten sind ein sicheres Zeichen für „krankhafte“ Physik und damit dafür, dass Einsteins Gleichungen, die in den Urknallmodellen die Evolution des Kosmos bestimmen, direkt am Urknall sinnlos werden.

Einen Ausweg versprechen sich die Physiker seit Jahrzehnten von Theorien, die die Allgemeine Relativitätstheorie mit den Konzepten der Quantentheorie vereinigen. Konkrete Hinweise, dass sich das Versprechen halten lässt, gibt es allerdings erst seit einigen Jahren, und zwar im Rahmen der so genannten Schleifen-Quantengravitation und ihrer Anwendung auf die Kosmologie.

Raum- und Zeitquanten

Diese Theorie führt zu einer Art Quantisierung der Struktur von Raum und Zeit. Raum ist in Einsteins Theorie kontinuierlich, mit anderen Worten: Jede Strecke im Raum lässt sich im Prinzip beliebig fein unterteilen. Das ist in der Schleifen-Quantengravitation anders. Dort ist jede Strecke ein ganzzahliges Vielfaches einer Elementarlänge, der so genannten Planck-Länge. Zwei Raumpunkte können eine, zwei, drei oder noch mehr Planck-Längen voneinander entfernt sein, aber beispielsweise nicht anderthalb oder zwei Drittel Planck-Längen. Strecken im Raum lassen sich nicht beliebig fein unterteilen, sondern allenfalls in die zugrunde liegenden elementaren Abschnitte von je einer Planck-Länge.

Da die Planck-Länge sehr klein ist – rund 10-35 Meter und damit noch weit jenseits der mikroskopischen Abstände, die Teilchenphysiker an ihren Beschleunigern untersuchen – spielt die Quantisierung der Länge für weite Bereiche der Physik und erst recht in unserer Alltagserfahrung keine Rolle. Wenn aber das heute beobachtbare Universum in der Vergangenheit auf winzigstem Raum zusammengezogen war, so, wie es die Urknallmodelle sagen, dann war diese Quantenstruktur einst sehr wichtig – all die Materie, die wir um uns herum sehen können war zu jener Zeit auf einen Raum mit einer Ausdehnung von nur wenigen Elementarlängen zusammengezogen.

Unendlichkeiten vermeiden

Aufgrund dieser Raum-Quantelung, so zeigt sich, erfüllt sich in den Modellen der Schleifen-Quantengravitation die Hoffnung auf eine von Unendlichkeiten freie Kosmologie. In der herkömmlichen Physik ist es unvermeidbar: die mittlere Dichte einer Raumregion ist gleich der darin enthaltenen Masse, geteilt durch das Volumen der Region – zieht sich die Region zum Volumen Null zusammen, wird die Dichte unendlich. In der Schleifen-Quantengravitation ist der Zusammenhang für sehr kleine Volumina komplizierter. Die Dichteentwicklung von Energie, die auf immer geringerem Raum konzentriert wird, ist in der folgenden Abbildung dargestellt:

Dichteplot Schleifen-Quantengravitation

Dort ist waagerecht das Raumvolumen aufgetragen, senkrecht die Dichte. Die rote, durchgezogene Kurve zeigt die Dichteentwicklung in der klassischen Physik, etwa der Allgemeinen Relativitätstheorie. Die violetten Punkte dagegen zeigen die von der Schleifen-Quantengravitation vorhergesagten Dichte für Materie, die zunächst in einem Bereich zusammengezogen ist, der aus 30 Volumen-Bausteinen besteht, dann nur noch aus 29, und so weiter bis, links, zu einem Raum, der nur noch aus einem Baustein besteht und sich schließlich zu Null zusammenzieht. Wichtig ist, dass die Dichtewerte dabei zwar sehr groß werden können, aber nicht unendlich, selbst wenn der Raum in einen Punkt zusammenschrumpft.

Die unschöne Urknall-Singularität mit unendlicher Dichte ist damit beseitigt. Die kosmologischen Modelle der Schleifen-Quantengravitation sagen stattdessen voraus, dass der Urknall gar nicht der Anfang war: Energiedichten bestimmen nach den Einstein-Gleichungen, wie sich das Universum verhält. Ihr abweichendes Verhalten bei winzigen Raumvolumina entspricht einer abstossenden Kraft auf sehr kleinen Skalen. Dieser Effekt zeigt deutlich die Abweichungen der Vorhersagen der Quantengravitation von denen der Allgemeinen Relativitätstheorie – dort ist Gravitation immer anziehend. Mit dieser abstoßenden Kraft können die quantisierten Einstein-Gleichungen sogar das Verhalten des Universums vor dem Urknall beschreiben, was in der Allgemeinen Relativitaetstheorie unmöglich wäre – weitere Informationen liefert das Vertiefungsthema Den Urknall überspringen?

Weitere Informationen

Die relativistischen Grundkonzepte, die diesem Vertiefungsthema zugrundeliegen, werden in Einstein für Einsteiger erklärt, insbesondere im Abschnitt Relativität und Quanten und im Abschnitt Kosmologie.

Mehr zur Kosmologie der Schleifengravitation findet sich im Vertiefungsthema Den Urknall überspringen. Verwandte Vertiefungsthemen auf einstein-online finden sich in den Sektionen Relativität und Quanten und Kosmologie.

Kolophon
Martin Bojowald

ist Physikprofessor an der Pennsylvania State University und forscht zur Anwendung der Schleifen-Quantengravitation in der Kosmologie.

Zitierung

Zu zitieren als:
Martin Bojowald, “Die gebändigte Dichte” in: Einstein Online Band 04 (2010), 01-1125